Malory
Menschen erfahren wollte, bei denen sie leben würde, doch da Drew zufällig auch zu ihnen gehörte, hätte sie ihre Neugier wohl besser im Zaum gehalten. Und sie hätte auch keine abfälligen Bemerkungen über seinen Schwager machen sollen, schließlich hatte sie sich dem Mann selbst aufgedrängt. Das war grob unhöflich gewesen.
Ehe sie sich noch entschuldigen konnte, überraschte Drew sie mit der Frage: »Halten Sie ihn wirklich für einen Rohling?
Meine Brüder und ich sind zwar auch dieser Ansicht, doch ich persönlich frage mich, wie James Malory auf Frauen wirkt.«
»Er ist ein echter Rohling. Aber ich nehme an, Ihre Schwester sieht das anders.«
»Ja, sie betet ihn an«, erwiderte er. »Schwer vorstellbar, nicht wahr?«
Gabrielle bemerkte die Heiterkeit in seiner Stimme und fragte sich kurz, ob er sich über sie lustig machte oder darüber, dass sie derselben Ansicht waren. Doch sie beschloss, dieser Frage nicht weiter nachzugehen, und vermied es, ihn anzusehen. Sie fand diesen Mann so attraktiv, dass sie ihn nicht lange mustern konnte, ohne sich zu verraten.
»Also gut«, überlegte sie, »wenn man sich des Eindrucks erwehren kann, dass er jeden Augenblick über einen herfallen wird, müsste man zugeben, dass er ein attraktiver Mann ist.« I
»Ich würde sagen, das zu behaupten, geht zu weit.«
»Was zu behaupten?«, fragte Georgina, die mit ihrer Nichte im Schlepp wieder auftauchte.
Gabrielles Wangen röteten sich. So schlecht, wie dieser Mann sich bisher ihr gegenüber verhalten hatte, zweifelte sie nicht daran, dass er alles verraten würde. Nun hatte er eine großartige Chance, sie in Verlegenheit zu bringen, und er schien auch fest dazu entschlossen. Er mochte herablassend genug gewesen sein, eine Unterhaltung mit ihr zu beginnen, doch sie hatte nicht vergessen, wie alles angefangen hatte.
Wieder überraschte er sie, indem er leicht über die Frage hinwegging und lediglich sagte: »Sie hält diesen Rohling, den du geheiratet hast, für einen attraktiven Kerl.«
»Selbstverständlich tut sie das«, entgegnete Georgina.
»Bislang habe ich noch keine Frau getroffen, der es anders ging. Aber ich wünschte, du würdest das Wort ›Rohling‹ aus deinem Vokabular streichen.«
»Nicht bevor er das Wort ›Barbar‹ aus seinem verbannt«, erwiderte Drew lächelnd.
Die Frau neben Georgina kicherte. »Gut, dass Nick nicht hier ist und das hört.«
Regina Eden war eine atemberaubende Schönheit. Sie hatte schwarzes Haar und höchst ungewöhnliche kobaltblaue Augen, die gerade schräg genug geschnitten waren, um ein wenig exotisch zu wirken. Und auf ihr Kichern folgte ein Lä-
cheln, das Gabrielle freundlich willkommen hieß.
Georgina erklärte Gabrielle: »Sie werden feststellen, dass Reggies Ehemann den meinigen nicht besonders mag. Früher haben sie ständig versucht, einander umzubringen.«
Georgina sprach in so neckischem Ton, dass Gabrielle ihre Bemerkung zunächst nicht recht ernst nahm. Doch dann setzte Regina hinzu: »Und manchmal wäre es ihnen fast geglückt, doch heute kommen sie wunderbar miteinander aus – zumindest im Vergleich zu damals.«
»Wunderbar würde ich das nicht nennen«, grinste Georgina. »Aber zugegeben, es ist wohl nur eine alte Angewohnheit. Mit Worten bekämpfen sie sich noch immer. Bei meinen Brüdern ist es genauso«, fügte sie mit einem missbilligenden Blick auf Drew hinzu.
Er schien alles andere als zerknirscht und grinste sogar spitzbübisch. »Ich weiß, wann ich auf verlorenem Posten stehe, also gehe ich wohl besser etwas Trinkbares besorgen, während ihr Damen euch näher beschnuppert.«
Damit schlenderte er davon und nur eine der Damen schaute ihm nach. Gabrielle ertappte sich selbst dabei, wie sie ihm mit den Augen folgte, und stöhnte innerlich auf. Es wür-de ein Problem werden, die Augen von dem Mann zu lassen, wenn er in der Nähe war. Er hatte sie so oft beleidigt, dass sie eigentlich darauf aus sein sollte, ihn um jeden Preis zu ignorieren, doch sie konnte es einfach nicht. Sie fühlte sich so stark von ihm angezogen, dass er, selbst wenn er ihren Zorn erregte, eine Wirkung auf sie hatte, die sie nicht kontrollieren konnte.
Sie musste unbedingt herausfinden, wie sie sich seiner Anziehungskraft entziehen konnte. Schließlich war der Mann nicht bloß ein Matrose, der eventuell mit einiger Mühe dazu überredet werden konnte, die Seefahrt aufzugeben. Er war Kapitän eines eigenen Schiffes und seine Familie besaß sogar eine Reederei! Einen Mann,
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