Malory
ohnehin besser, sie vorzuwarnen, denn der Vogel konnte recht laut werden, und Gabrielle wollte nicht, dass jemand ihre Tür aufbrach, um herauszufinden, woher der Lärm kam. Doch das Seltsamste an Papageien war, dass Frauen kaum widerstehen konnten, mit ihnen zu reden, und auch bei Georgina Malory war es nicht anders. Sie ging zum Käfig, musterte Miss Carla und sagte sofort »Hallo« zu ihr.
»Dumme Gans«, antwortete der Papagei.
Gabrielles Wangen färbten sich dunkelrot, doch Georgina lachte schallend und sagte: »Das ist erstaunlich. Kann er noch mehr?«
»Mehr als mir lieb ist«, murmelte Gabrielle. »Er gehörte meinem Vater. Er hat mir den Papagei geschenkt, nachdem ich mich mit ihm angefreundet hatte, aber da hatte er ihm bereits einige schlimme Wörter beigebracht, die allesamt zu peinlich sind, um sie aufzuzählen.«
Georgina hob eine Braue. »Zu vulgär für junge Ohren?«
»Das will ich meinen.«
Die Lady seufzte. »Wie schade. Sonst hätte ich vorgeschlagen, dass Sie den Vogel gelegentlich nach unten bringen, damit meine Familie sich mit ihm amüsieren kann. Aber meine älteste Tochter ist erst sieben und für so etwas viel zu empfänglich.
Sie hört schon von den Männern in dieser Familie mehr als gut für sie ist.«
»Ich werde versuchen, den Vogel ruhig zu halten.«
Georgina kicherte. »Und ich werde versuchen, Jack vom Spionieren abzuhalten.«
»Jack?«
»Meine Tochter Jacqueline.«
»Ah, ich verstehe.«
»Nein, tun Sie nicht, allerdings versteht niemand, warum mein Mann den Frauen, die er am liebsten mag, so gern derart ungewöhnliche Spitznamen gibt.«
»Nicht ungewöhnlich, George«, sagte James vom Türrahmen her. »Einfach nur Namen, auf die niemand anders kommen würde. Nun komm und lass dem Mädchen Zeit zum Eingewöhnen. Sie wird sich ein wenig ausruhen wollen, bevor du sie heute Abend zu Regan schleppst.«
»Regan?«
»Noch einer von diesen Namen, diesmal für seine Lieb-lingsnichte Regina«, erklärte Georgina, dann setzte sie stirnrunzelnd hinzu: »Müssen Sie sich hinlegen?«
»Nein, mir geht’s gut.«
»Schön, dann kommt die Schneiderin innerhalb der nächsten Stunde. Ich werde gleich nach ihr schicken.«
Kapitel 11
Zur verabredeten Zeit ging Gabrielle nach unten. Ihr grau-blaues Tüllkleid, das fast genau ihre Augenfarbe hatte, war zu dünn für einen Abend in England. Leider hatte sie nur einen einzigen Mantel dabei, ihren robusten wollenen Reisemantel, den sie aber zu einem feierlichen Anlass auf gar keinen Fall tragen konnte.
Ihre neuen Kleider würden jedoch ab morgen eintreffen und im Laufe der kommenden Woche vollständig geliefert werden. Das hatte die Schneiderin ihr versichert, und daher wollte sie sich nicht beklagen, wenn ihr an diesem einen Abend ein wenig kalt werden würde. Immerhin war ihr Haar schön frisiert. Glücklicherweise war sie recht gut darin, sich selbst kunstvolle Frisuren zu machen, denn Margery war ja keine richtige Zofe. Das war nur ihre augenblickliche Funktion. Anscheinend war sie die Erste, die in der Eingangshalle eintraf, deshalb ging Gabrielle in den Salon, um auf die Malorys zu warten. Sie dachte, sie sei allein, bis sie die beiden kleinen Köpfe sah, die über die Sofalehne lugten; beide hatten goldenes Haar, doch in dem einen leuchteten kupferrote Strähnen. Gabrielle musste ehrlich zugeben, dass sie nie in ihrem Leben schönere Kinder gesehen hatte.
»Ich bin Jack«, sagte das Mädchen mit dem goldenen Haar.
»Das ist meine Cousine Judy. Und du musst die Tochter des Piraten sein.«
Gabrielle wusste nicht, ob sie von der Offenheit des Kindes peinlich berührt oder amüsiert sein sollte. Lieber Himmel, wusste denn jeder in diesem Haushalt vom Beruf ihres Vaters?
»Ich schätze, das stimmt, ja«, antwortete sie.
»Bist du auch ein Pirat?«, fragte das andere Mädchen.
Gabrielle gelang es, sich das Lachen zu verkneifen. »Nein, aber ich bin manchmal mit auf Schatzsuche gegangen.«
»Oh, das macht sicher Spaß!«, sagten die beiden Mädchen fast gleichzeitig.
Gabrielle schmunzelte. »In der Tat.«
»Und ich bin sicher, sie wird euch alles darüber erzählen, aber nicht heute Abend«, unterbrach James Malory vom Türrahmen her. »Los, Kinder, euer Abendessen wartet.«
Die Mädchen marschierten unter verhaltenem Protest aus dem Zimmer. Vor Malorys Eintreffen war Gabrielle entspannt gewesen, doch nun verkrampfte sie sich, was sie auf die Frage brachte, ob sie sich jemals in seiner Anwesenheit wohl fühlen
Weitere Kostenlose Bücher