Malory
nahm sehr deutlich wahr, wie er seine Hand auf ihre Taille legte, um sie seinen Verwandten zuzuschieben. Für einen zufälligen Beobachter mochte es wie eine eher oberflächliche Berührung aussehen, doch für Gabrielle war es anders. Sie spürte, dass er sie kurz zwickte, ehe er sie losließ.
Wilbur Carlisle musste sie zweimal ansprechen, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Sie war so sehr damit beschäftigt zu überlegen, warum Drew sie soeben in einer deutlich besitz-ergreifenden Art berührt hatte, dass sie ihren nächsten Tanzpartner, der sie auffordern kam, gar nicht bemerkte. Hatte Drew gesehen, dass der junge Mann sich näherte, und sie nur auf diese Weise berührt, um ihm eine unterschwellige Bot-schaft zu vermitteln? Wilbur sah Drew nämlich ein wenig erstaunt nach. Ach Unsinn, sie war bloß dumm und machte aus einer Mücke einen Elefanten.
Gabrielle schenkte Wilbur ein strahlendes Lächeln und ih-re ganze Aufmerksamkeit. Er war wirklich ein netter Kerl.
Wenn sie sich auf der Stelle entscheiden müsste, würde sie sich Wilbur als Ehemann aussuchen. Er war gut aussehend, liebenswert und geistreich. Sie konnte keinen Fehler an ihm finden, abgesehen davon, dass er bei ihr keine Schmetterlinge zum Flattern brachte. Sie hatte ihn letzte Nacht bei Regina kennengelernt und die kurze Unterhaltung mit ihm durchaus genossen. Er hatte sie sogar mehrmals zum Lachen gebracht, was noch keinem der Männer, die sie bisher getroffen hatte, geglückt war. Sie freute sich, dass er an diesem Abend auch anwesend war, damit sie ihn ein wenig besser kennenlernen konnte. Zweifellos war er der Attraktivste unter den Herren, die sie nach ihrem Eintreffen umschwärmt hatten, um sich in ihre Tanzkarte einzutragen. Nicht so attraktiv wie Drew na-türlich, aber . . Grundgütiger Himmel, sie musste aufhören, an unverbesserliche Schürzenjäger wie Drew Anderson zu denken und ihre Aufmerksamkeit auf die Männer konzentrieren, die an einer Ehe ebenso interessiert waren wie sie.
Kapitel 14
In jener Nacht bekam Gabrielle nur sehr wenig Schlaf. Immer wieder ging ihr Drews Bemerkung durch den Sinn und hielt sie wach. Sie sollte beweisen, dass sie eine echte Piratin war, indem sie die Nacht mit ihm verbrachte. Sie hätte empört sein sollen. Aber sie war es nicht. Seit sie nach Hause gekommen war und in Ruhe darüber nachgedacht hatte, freute sie sich über das, was sie zwischen den Zeilen herausgehört hatte – er begehrte sie. Und dieses Wissen hatte eine erstaunliche Wirkung auf sie. In einem Moment war sie so aufgeregt, dass ihr fast schwindlig wurde, und im nächsten zu Tode betrübt.
Denn Drews Begehren änderte nichts für sie. Und für ihn auch nicht.
Am nächsten Morgen weckte Margery sie früher, als ihr lieb war. Fast hätte Gabrielle ihre Freundin aus dem Zimmer gescheucht, damit sie noch einige Stunden weiterschlafen konnte, doch dann fiel ihr ein, dass Margery in den letzten Tagen nicht oft zu Hause gewesen war. Sie hatte in London viele alte Freunde, die sie nach und nach besuchen wollte. Falls Margery heute wieder ausgehen wollte, war der Morgen die beste Zeit, um mit ihr zu reden und ihre Meinung über die voraussichtlichen Bewerber einzuholen.
»Hilf mir herauszufinden, auf welche Eigenschaften ich bei einem Ehemann Wert legen sollte«, sagte Gabrielle, während Margery ihre Garderobe nach einem passenden Kleid für den Tag durchsuchte.
»Benutz einfach deinen gesunden Menschenverstand, Mädchen«, erwiderte Margery und hielt zwei Kleider hoch.
»Das rosafarbene oder das blaue?«
»Das rosafarbene«, beschloss Gabrielle, ohne die Kleider eines Blickes zu würdigen. »Aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir nicht genau, wonach ich suchen soll, er hilft mir erst nach dem Kennenlernen, dann merke ich, was ich an einem Mann gut finde.«
Margery schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Freund-lichkeit, Toleranz, Geduld, Ehrenhaftigkeit, Mitgefühl ...«
»Moment!« Gabrielle hob eine Hand. »Einige dieser Eigenschaften zeigen sich nicht auf den ersten Blick. Ich könnte einen Mann jahrelang kennen und doch nicht wissen, ob er ehrenwert ist oder nicht. Oder gibt es einen Weg, das herauszufinden, von dem ich nichts weiß?«
Margery warf das rosafarbene Kleid aufs Bett und ging zur Kommode, um die Unterwäsche zu holen. »Du fragst mich, ob es einen Weg gibt herauszufinden, ob ein Mann Ehre hat?
Gott schütze dich, Mädel, wenn ich das wüsste, würde ich es in Flaschen füllen und verkaufen.«
Gabrielle seufzte.
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