Malory
die Tatsache, dass er sie begleiten musste. »Da wir ein Schiff-fahrtsunternehmen der ehrlichen Art führen, dürfte Clinton wohl etwas dagegen haben, wenn du versuchen würdest, einen Piraten in die Familie zu bringen.«
Die beiden blickten also offensichtlich auf sie herab. Sie fühlte sich nicht gekränkt – jedenfalls nicht allzu sehr –, sondern eher wütend. Sie kannten weder sie noch ihren Vater. Wie konnten sie es wagen, einfach über sie beide zu urteilen!
»Eine Braut in jedem Hafen.« »Sich nie einfangen lassen.«
Sie wusste jetzt, woran sie war. Drew Anderson war ein Schuft. Und er fand sie verachtenswert?
»Sie schlagen ja alle annehmbaren Herren in die Flucht, wenn Sie so ein böses Gesicht machen«, hörte sie Drew sagen.
»Einen Penny für Ihre Gedanken.«
Gabrielle schaute auf und sah ihn neben sich stehen. Sie hatte ihn doch nur einen Moment aus den Augen gelassen. Wie war es ihm gelungen, so schnell den Raum zu durchqueren? Hätte sie ihn kommen sehen, wäre sie in die andere Richtung verschwunden. Sie wollte eigentlich gar nicht mit ihm sprechen.
»Meine Gedanken könnten Sie teurer kommen«, sagte sie in abweisendem Ton und schaute an ihm vorbei.
»Wie viel teurer?«, wollte er wissen.
»Teurer als Sie es sich je werden leisten können.«
»Was für ein Jammer. Ich hatte auf einen lustigen Spruch gehofft, um der Langeweile zu entgehen.«
Gabrielle zog scharf den Atem ein und schaute ihm wieder ins Gesicht. »Sie glauben also, dass Sie meine Gedanken lustig finden würden? Sie denken, ich bin voller dummer ...«
»Das habe ich nicht gesagt«, unterbrach er sie.
»Das brauchten Sie auch gar nicht. Es ist bereits an Ihrem Ton zu hören«, erwiderte sie, dann fügte sie leise hinzu: »Aber das war von einem Rohling wie Ihnen ja zu erwarten.«
Offensichtlich hatte er sie verstanden, denn er seufzte hörbar. »Ist denn jeder Mann ein Rohling für Sie?«
»Nein, aber Sie sind der, der mich so hart angefasst hat, dass mir der Arm wehtut.«
Bei dieser Anschuldigung kniff er die Augen zusammen und forderte: »Zeigen Sie mir Ihre blauen Flecken.«
Gabrielle hatte sich nicht die Mühe gemacht nachzuschau-en, ob sie welche hatte, und wollte das gerade zugeben, da fasste Drew einfach nach ihrem Arm und drehte ihn um.
Schlagartig veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Als sie auf ihren Unterarm blickte, sah sie den Bluterguss ebenfalls. Er war allerdings recht klein. Lieber Himmel, noch nie in ihrem Leben hatte sie sich über einen blöden blauen Fleck gefreut, aber heute war es so.
»Ich habe es Ihnen ja gesagt«, konstatierte sie hochbefriedigt.
»Ja, das haben Sie«, entgegnete er ruhig und sah dabei ehrlich zerknirscht aus, nein, er war wahrhaftig geknickt. »Entschuldigen Sie, Gabby. Es war wirklich nicht meine Absicht, Ihnen wehzutun, ich wollte Ihnen neulich nur helfen. Es tut mir leid, dass Sie so schnell blaue Flecken bekommen.«
Die letzte Bemerkung brachte Gabrielle zum Nachdenken.
Sie bekam gar nicht schnell blaue Flecken und sein Griff war in der Tat nicht übermäßig fest gewesen, also hatte er auch keine Abdrücke hinterlassen können ...
Sie hielt den Atem an, als ihr einfiel, dass sie auf dem Weg zum Stadthaus der Malorys, während die Kutsche über ein ziemlich großes Schlagloch gerumpelt war, so heftig herumgestoßen worden war, dass sie aufgeschrien und Ohr eine Bemerkung darüber gemacht hatte. Insgeheim gelangte sie daher zu dem Schluss, dass sie sich den blauen Fleck auf diese Weise zugezogen hatte.
Das wollte sie Drew aber lieber nicht verraten. Sein reuiger Gesichtsausdruck gefiel ihr recht gut ... Ach, verflixt!
»Ich habe mich geirrt«, entgegnete sie knapp. »Also können Sie sich Ihre Entschuldigung sparen.«
»Wie bitte?«
Gabrielle errötete trotz ihrer Wut auf sich selbst. »Mir ist eben wieder eingefallen, dass ich mir diesen Bluterguss in einer Kutsche zugezogen habe, einen Tag nachdem wir uns auf dem Kai begegnet sind. Aber das heißt nicht, dass Sie kein Rohling sind«, ergänzte sie trotzig.
Drew lachte so laut, dass er viel zu viele Blicke auf sie lenkte. Da er einen breiten Brustkorb hatte, klang sein Lachen dunkel und kräftig – und sie wollte verdammt sein, wenn es nicht auch ausgesprochen erregend wirkte. Sie konnte den Schauer, der ihr über den Rücken lief, jedenfalls nicht ignorieren. »Offensichtlich ist es mir doch noch gelungen, Ihnen Ihre Langeweile zu vertreiben«, grollte sie.
»Ja, aber eigentlich hatte ich nur auf eine
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