Malory
überrascht, dabei hätte sie sich so etwas denken können. Einer musste die Neuigkeiten von ihrem Vater schließlich überbracht haben.
Bixley liebte die Schatzsuche und glaubte ernsthaft, eines Tages eine alte Schatztruhe zu finden. Und da Nathan selbst gern nach Schätzen jagte, hatte Bixley das Gefühl, auf der Crusty Jewel genau die richtige Heimstatt gefunden zu haben.
Richard nahm Gabrielle in den Arm. In seinem Piratenauf-zug, mit dem weiten weißen Hemd, das über der Brust offen stand, wirkte er auf Gabrielle sehr viel vertrauter.
Nachdem er sie eindringlich gemustert hatte, fragte er Ohr:
»Warum sieht sie aus, als sei sie schon in Trauer? Was zum Teufel hast du ihr erzählt?«
Ohr rückte noch einen Stuhl an den Tisch, an dem Bixley saß und sich einen Krug Bier schmecken ließ. »Nur welchen Preis Pierre fordert«, erwiderte er.
»Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört, chérie«, versicherte Richard. »Wir vermuten bloß, dass Pierre in Wahrheit dich will und die Karten nur als Ausrede benutzt.«
»Karten?«, fragte Gabrielle. »Wovon redest du?«
Richard warf Ohr einen finsteren Blick zu. »Du hast ihr al-so tatsächlich nichts gesagt? Worüber habt ihr auf der Fahrt hierher denn überhaupt gesprochen, über das gottverdammte Wetter?«
In seiner üblichen unerschütterlichen Art ignorierte Ohr Richards Gereiztheit und sagte ruhig: »Ich war der Ansicht, sie sollte alles aus erster Hand erfahren, also von Bixley. Au-
ßerdem hoffe ich, dass mein Freund sich an irgendetwas erinnert, was uns hilfreich sein könnte und das er beim ersten Er-zählen vielleicht vergessen hat.«
»Ich hab nichts vergessen«, murmelte Bixley. »War ‘ne lange Reise. Ich hab’ verdammt genug Zeit gehabt, mir alles zu merken.«
»Dann sag mir, was passiert ist, Bixley«, forderte Gabrielle ihn auf.
»Es war Latice, der Bastard.«
Gabrielle runzelte die Stirn. »Vaters erster Offizier?«
»Aye«, erwiderte Bixley. »Hat uns direkt zu Käpt’n Pierres Festung gesegelt, während dein Papa seelenruhig in seiner Kabine schlummerte. Wir hatten nich’ mal die Chance, uns zu wehren. Die meisten von uns sind in der Nacht in Ketten aufgewacht.«
»Pierre hat eine eigene Festung?«, fragte Gabrielle.
»Er arbeitet jetzt gegen uns, Gabby«, mischte Ohr sich kurz ein, um ihr die Lage zu erklären. »Er hat ein altes verlassenes Fort entdeckt und es offensichtlich über die Jahre wieder instand gesetzt. Und sobald alles fertig war, hat er sich von der Piratenbruderschaft losgesagt.«
»Und dort hält er meinen Vater gefangen?«
»Ja.«
»Weißt du, wo die Festung liegt?«
»Ich nicht«, erwiderte Ohr, »aber Bixley.«
»Sie haben dafür gesorgt, dass ich sie wiederfinden kann, weil ich dich hinbringen soll«, sagte Bixley. »Sie liegt ein oder zwei Tage östlich von St. Kitts, je nachdem aus welcher Richtung der Wind weht.«
»Hat Latice gedacht, er würde in einen sicheren Hafen segeln? Hat er nicht gewusst, dass Pierre sich losgesagt hat?«
Bixley schnaubte. »Der wusste Bescheid. Ist ‘n Verräter, Mädchen. Wer hätte gedacht, dass er den Mumm hat, so ‘ne Entscheidung zu treffen, hä?«
Gabrielle konnte es einfach nicht glauben. Latice war erster Offizier bei ihrem Vater gewesen. Er war sehr energisch, allerdings nur, was nautische Dinge anbelangte. Auf dem Achterdeck traf er seine Entscheidungen ohne zu zögern. Bei allem anderen brauchte er jedoch eine Ewigkeit, um sich eine Meinung zu bilden, und selbst dann konnte er mühelos wieder umgestimmt werden.
»Warum sollte er das tun?«, fragte Gabrielle. »Aus Angst?«
»Habgier.« Der irische Pirat spuckte das Wort geradezu aus. »Pierre hat ihm die Crusty Jewel versprochen. Aber er hat ihn verladen. Pierre hält nich’, was er verspricht. Er hatte gar nich’ vor, ein prima Schiff wie das von deinem Pa wegzuge-ben.«
»Also was genau will Pierre?«
»Er sagt, er will die Karten von deinem Pa. Nathan war stinksauer, das kannste dir ja denken. Hat ihm gesagt, wo er sich die Karten hinstecken kann, tja, wie ich schon sagte, er war stinksauer. Er hatte nich’ vor, ‘ne Sammlung rauszurü-
cken, für die er sein ganzes Leben geschuftet hat. So wär’n wir aber nie rausgekommen, deshalb hab ich, nachdem sie Nathan weggebracht hatten, angeboten, Pierre die Karten zu bringen.
Ich weiß, wo sie versteckt sind. Aber Pierre sagte nein, du sollst sie bringen.«
»Ich habe tatsächlich einige von seinen Karten«, sagte Gabrielle zu Bixley. Es war lange
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