Mama muss die Welt retten - wie Mütter vom Wickeltisch aus Karriere machen
Fläschchen, obwohl ich voll stillte. Eine Babybadewanne, obwohl man Babys auch in der normalen Wanne baden kann. Drei Variationen von Spieldecken mit hängendem, lärmendem Spielzeug dran.
Alles Sachen, die ja auch aufgeräumt werden müssen. Jeden Tag sah die Wohnung abends wieder aus wie ein Schlachtfeld – und aufgrund ihrer Größe bis heute sogar ein unkontrollierbares. Denn wenn man in die obere Etage einigermaßen Ordnung gebracht hat, die Wäsche zusammengelegt ist, das Spielzeug weggeräumt, der Windelmülleimer im Bad geleert, kann man abends, vor allem in der Küche, wieder von vorne anfangen.
Ich sehnte mich danach, wie ein Einsiedler in einer Hütte zu leben, nur mit einem Bett, Stift und Zettel (oder aus Gründen der Gewohnheit einem Laptop) und mit Blick auf die Berge. Ein Baby macht einen solchen Rückzug leider unmöglich. Denn wo hätte ich in dieser Hütte den Sterilisator für die Schnuller und mein Abpumpgerät, den Autositz, das Babyphon, die Windeln, den Wickeltisch und die tausend kleinen Accessoires untergebracht?
Also müsste ich in den nächsten Wochen versuchen, das ganze Chaos um mich und Herrn Maxime auszublenden, und mich in die Uni-Arbeit stürzen. Im Sinne von: Nur dasNotwendigste fokussieren und die Gelassenheit haben, alles andere auszublenden.
Also machte ich mich an einem Mittwochnachmittag auf, schnürte Mini-Maxime in sein Wickeltuch, zog den weiten Wintermantel drüber und stapfte in Gummistiefeln durch den Schnee los zur Berliner Humboldt-Uni, um die Leiterin des Seminars für Zentralasien-Studien zu treffen. Im kleinen Arbeitszimmer meiner Professorin, das mit alten Büchern und orientalischen Wandteppichen vollgestopft ist, war meine einzige Sorge eigentlich, dass das Baby unter meiner Jacke jederzeit losbrüllen könnte und die Situation so etwas unpassend und anstrengend werden könnte. Aber es ging erstaunlicherweise gut. Maxime schlummerte in seinem Tuch und wachte eine Dreiviertelstunde lang nicht einmal auf.
»Es wäre in der Tat obsolet, wenn sie das Baby in die Seminare mitbringen würden, dort stillen würden oder es trösten würden, wenn es schreit. Er ist einfach noch zu klein, und sie wären der Running Gag«, merkte meine Seminarleiterin gleich am Anfang belustigt an, ohne es böse zu meinen.
»Dann kann ich von zu Haus arbeiten,«, fragte ich vorsichtig.
»Sie müssen eine Ersatzleistung erbringen. Das ist klar«, erwiderte sie.
Wir vereinbarten 100 Seiten. Zusammenfassungen, Inhaltsangaben über tatsächlich spannende Themen wie Migrationsströme in Zentralasien, die Aralsee-Katastrophe, die Pressefreiheit in Turkmenistan oder das Politikum um die Wasserverteilung und Staudämme zwischen Usbekistan und Tadschikistan.
Dazu sollte ich jeden der anderen vier Professoren anschreiben und um eine Extra-Aufgabenstellung bitten, und eine weitere Hausarbeit zur Mongolei stand auch noch an. Alles zusammen rund 200 Seiten – in vier Wochen. Selbst ohne Baby war das schon schwer zu schaffen. Aber trotzdem: Mein Ehrgeiz war geweckt. Und ich hatte das Bedürfnis, nicht nur an Maximes nächste Mahlzeit zu denken, sondern mich auch mit anspruchsvolleren Themen auseinanderzusetzen. Außerdem konnte ich mich bei der Lektüre wegträumen und mir ausmalen, wohin wohl einmal unsere Reisen gehen würden. Nach Tadschikistan? Indien? Oder auch nach Aserbaidschan?
»Ich verspreche dir viele Reisen«, sagte ich meinem Neugeborenen damals, der auf meinem rechten Knie, eingemummelt in sein Wickeltuch, meistens schlief, während Mama auf ihrem linken Knie mit ihrem Laptop sonore Tipplaute machte. Klickklickklickklick …
So ging das die nächsten Wochen. Ich trug mein Baby im Haus rum, erzählte ihm Geschichten, wir machten erste Versuche, auf einer Kuscheldecke zu spielen, gingen einkaufen, in die Bibliothek, und sobald Maxime schlief, klappte ich meinen Laptop auf. Es war so Zen. Ruhe, Konzentration und Fokus.
Und ich kam wirklich voran, denn ich hatte ja Zeit. Da ich voll stillte, ging ich nicht aus, trank und rauchte nicht, ging früh schlafen und war zwar müde, aber durch nichts abgelenkt.
Ich fand heraus, dass ich mit dem Schlafentzug relativ gut zurechtkam, solange ich nur sehr früh schlafen ging. Die Rede ist hier von neun oder zehn. Gut für die Beziehung ist das natürlich nicht. Aber was sollte ich auch machen, ohnezu Super-Woman mutieren zu müssen. Studieren und Baby war nur möglich, indem ich in anderen Bereichen wie Beziehungen und Freundschaften
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