Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Samburu-Nationalpark führen. Die Fahrer großer Lastwagen und Viehtransporter ließen sich in den staubigen Werkstätten von Archer’s Post ihre Reifen flicken, da die nächsten Tankstellen viele Hundert Kilometer entfernt lagen. An den kleinen Dukas entlang der Hauptstraße kauften sie ihre letzten Lebensmittel, Wasser und Kaugummi für die Fahrt über
die Sandpiste nach Äthiopien im Norden oder in die kenianische Hauptstadt, Nairobi, im Süden. Die nächste Tankstelle lag mehr als zweihundert Kilometer von hier entfernt. Auf den Querrillen der Wellblechpiste brauchten Lkws dafür fast sechs Stunden. In Zukunft musste ich mich in dem quirligen Straßendorf, das eigentlich aus zwei Reihen Geschäften entlang der Straße bestand, zurechtfinden. Die Gesetze dieser schnelllebigen Welt würde ich erst noch lernen müssen. Ich hoffte inständig, dass mir jemand dabei helfen würde. Mir wurde jedenfalls mulmig, wenn ich an die Hochzeit dachte, denn ich hatte keine klare Vorstellung, was nun auf mich zukam. Ich wusste nichts Persönliches über meinen zukünftigen Ehemann und das, was ich über den Ort gehört hatte, in dem ich bald wohnen würde, wirkte nicht gerade einladend. Mir wurde klar, dass ich nun unwiderruflich die heile Welt von Wamba verlassen würde. Ich versuchte mir auszumalen, wie er wohl aussehe. Doch ich würde den Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen sollte, erst im Verlauf unseres Hochzeitsfests kennenlernen. So schrieb es die Tradition der Samburus vor.
Die ersten Gäste trafen in den frühen Morgenstunden in Wamba ein. Einige von ihnen hatten tagelange Gewaltmärsche hinter sich. Sie hatten meine Mutter seit Jahren nicht mehr gesehen, da sie weit entfernt lebten. So war meine Hochzeit auch eine Familienzusammenführung für meinen weitverzweigten Clan. Tanten, Onkel, Cousinen, Cousins und längst verschollen geglaubte Brüder meiner Mutter kamen zu unserem Fest. Während ich noch in der Manyatta meiner Mutter auf den Ältestenrat wartete, lief das Fest draußen bereits auf Hochtouren, zu dem mein zukünftiger Mann einen Hochzeitsochsen geschlachtet hatte. Die Gäste feierten uns wie selten ein Paar in dieser Gegend. Alle wollten uns sehen und wünschten uns viel Glück und viele Kinder. Wir seien ein ideales Paar, das Großes leisten könne für die Gesellschaft, meinten die Elders oder Apayas, die Weisen und Alten, im Dorf. Doch noch waren wir
nicht aufeinandergetroffen. Noch hatte ich meinen zukünftigen Mann nicht zu Gesicht bekommen. Ich musste mich noch eine ganze Nacht gedulden. Erst morgen früh würde ich ihn sehen. Jetzt würde mir der Ältestenrat von Wamba erst einmal seine Ratschläge mit auf den Weg geben.
Die Sonne war gerade über dem Bergmassiv untergegangen, als die alten Herren aus unserem Dorf in die dunkle Lehmhütte meiner Mutter traten, um mit mir zu reden. Der Älteste von ihnen, ein sogenannter Mzee – das ist bei uns in Kenia die höfliche Anrede für einen älteren Mann –, war schon ziemlich klapprig auf den Beinen. Er wurde von den anderen in die Hütte geführt. Draußen wurden die Gesänge der Feiernden immer lauter und der Wind blies den Rauch und den Fleischgeruch in unsere Richtung. Die alten Herren setzten sich auf die bereitgelegten Rinderfelle und tranken Tee, den meine Mutter eigens für diese Zeremonie zubereitet hatte. Dann erhob der Mzee als der Älteste von ihnen das Wort und wandte sich an mich. Voller Ehrfurcht sprach der grau melierte alte Mann, an dessen faltigen Ohrläppchen silberne Ohrringe baumelten, in einem für Nomaden typischen Singsang von meinem Vater. Dabei schaute der ehrwürdige Alte immer wieder in die Runde der alten Männer, die andächtig zuhörten, nickten und ihm mit einem lautstarken »Heeeh« beipflichteten. Nach alter Nomadensitte klang sein Vortrag wie ein melodisches, episches Gedicht.
Meine Vorfahren, mein Opa und mein Vater Ditan Lasangurikuri seien große Führer der Samburus gewesen. Mein Großvater hatte noch als richtiger Nomade gelebt und seine riesigen Viehherden durch die trockene Halbwüste getrieben. Mein Vater wurde dann im Laufe seines Lebens sesshaft, schaffte es aber, den gesamten Viehbestand trotz der Dürren in die neue Zeit seit der Unabhängigkeit Kenias zu retten. Dieses hätten sie nur geschafft, weil sie noch nach den alten Bräuchen lebten und im Besitz ihrer jahrhundertealten Kultur gewesen
seien. Ihr Blut fließe in meinen Adern. Darauf solle ich immer stolz sein. Heutzutage müsse man
Weitere Kostenlose Bücher