Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Erinnerung. Der Verstorbene, so heißt es dann, ist in die Ahnenwelt eingegangen.
Doch mein Vater bekam ein modernes Begräbnis. Die Frauen hatten ihm nach alter Samburu-Sitte den Kopf rasiert und ihn wie zum Schlafen in den Sarg gebettet. Samburus aus der gesamten Region waren gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Sie legten ihre Zweige in den Sarg und wünschten
ihm alles Gute für seine letzte große Reise in das Reich der Ahnen. »Schlaf jetzt allein«, flüsterte ihm meine Mutter zu. Dann pilgerten Heerscharen von Menschen an seinem Sarg vorbei. Die Erinnerung an diesen weisen, großen Mann trage ich bis heute in meinem Herzen. Wenn ich nicht mehr weiterweiß, denke ich an meinen Vater. »Was würde er jetzt tun?«, frage ich mich dann und finde meistens eine Lösung.
Doch nun war es für mich an der Zeit, eine »richtige Frau« zu werden. Meine Beschneidung stand an. Ich hatte selbst darauf gedrungen. Als meine Cousinen feierlich beschnitten worden waren, hatte man sie reich beschenkt und sie mit herrlichem Ziegenfleisch wieder hochgepäppelt. Das wollte ich damals auch und hatte geweint, da mich meine Mutter während der Zeremonie zu meiner Großmutter geschickt hatte. Nun war ich gerade mal dreizehn Jahre alt und redete über nichts anderes mehr. Ich wollte endlich auch eine richtige Frau sein und ich war überzeugt davon, dass erst dieses Ritual mir dazu verhelfen würde. Mein ganzes Leben lang hatte ich nichts anderes gehört. Ich glaubte, dass die Beschneidung etwas Gutes sei. Seit ich ein kleines Mädchen war, hatten mir die Frauen das eingeschärft. Die Beschneidung von Frauen war ein selbstverständlicher Teil unserer Samburu-Kultur. Ich hatte keine Ahnung, wie sehr ich dies später bereuen würde. Erst Jahre später sollte ich verstehen, dass das, was wir Beschneidung nennen, in Wirklichkeit eine Genitalverstümmelung ist.
Eines Tages war es endlich so weit. Meine Freundinnen beneideten mich. Jetzt würde ich in den Kreis der Frauen aufgenommen Meine Mutter hatte ein Schaf schlachten lassen. Mit dem Fleisch würde sie die Beschneiderin und alle Frauen, die beim Ritual halfen, verköstigen. Im Morgengrauen führten sie mich nach draußen vor die Hütte. Mein Körper solle abkühlen, erklärten mir die Frauen, damit ich nicht so viel bluten würde. Die Frauen, die meiner Mutter beim Ritual beistehen würden, hatten sich vor der Hütte versammelt. Mein Herz pochte und
ich spürte, wie sich mir der Magen umdrehte. Eine unbändige Angst stieg in mir hoch. Nur widerwillig ging ich zurück in die Hütte und nahm auf dem für mich präparierten Fell Platz. Dann ging alles sehr schnell. Bevor ich mich versah, war ich fest im Griff meiner Patinnen, jener Frauen, die nun dafür sorgen würden, dass das Ritual traditionsgemäß verlief. Eine der Frauen hielt meine Schultern, zwei andere drückten meine Beine auf den Boden. Sie stemmten sich mit ihrem gesamten Gewicht auf mich, sodass ich mich kaum rühren konnte. Als die Beschneiderin mit dem Messer ansetzte, begann ich mich zu wehren. Ich bäumte mich mit aller Kraft auf. Doch da war es auch schon geschehen. Ich spürte, dass ich in einer Blutlache lag. Der Schmerz, der durch meinen Körper schoss, war unerträglich. Tränen liefen mir über die Wangen. Ich hätte am liebsten laut geschrien, aber ich tat es nicht. Ich unterdrückte meine Schreie. Das hatte ich mir geschworen. Ich wollte stark sein, auf keinen Fall Schwäche zeigen. Wie viele Samburu-Mädchen glaubte ich damals, dass wir Frauen diesen Schmerz ertragen müssen.
Die Beschneiderin streute Kautabak ins Feuer, bis dicker Rauch in der dunklen Hütte stand und ich nur noch die Konturen der Frauen erkannte, die um mich herum standen und mich und unsere gesamte Familie segneten. Ich hörte noch die lauten Fruchtbarkeitslieder der Frauen, die von draußen zu mir in die Hütte drangen, doch dann fühlte ich mich plötzlich ganz schwach und versank in eine tiefe Dunkelheit. Ich wurde ohnmächtig. Als ich wieder erwachte, saß meine Mutter neben mir und weinte. Die Beschneiderin hatte entschieden, dass sie das Messer noch einmal ansetzen müsse. Meine Mutter war verzweifelt. Sie wusste, welchen Schmerz mir das zufügen würde. Doch wenn sie sich nun weigern würde, wäre alles umsonst gewesen. Erst wenn die Beschneiderin zufrieden nickte und sie die Klitoris und ein Teil der Schamlippen abgeschnitten hatte, galt das fürchterliche Ritual als erfolgreich und abgeschlossen.
Noch einmal hielten mich
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