Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Ständig hörten wir von Überfällen auf die Manyattas der Samburus in der Umgebung und von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Viehhirten der unterschiedlichen Volksgruppen. Das Leben hier draußen war viel rauer als im behüteten Wamba, nervenaufreibend und anstrengend, zumal ich mich als Schwiegertochter um alles kümmern musste. Ich
musste Wasser holen, Holz suchen, kochen und waschen – alles ohne die Unterstützung der Frauen, die mir in Wamba geholfen hätten.
Mein Tag begann frühmorgens und endete spätabends. Während die anderen noch schliefen, ging ich schon los und holte Wasser, um Tee für alle zu kochen. Manchmal fühlte ich mich am Ende eines anstrengenden Tages völlig verzweifelt und ich weinte mich in den Schlaf. Doch viel Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht. Denn kaum hatte ich mich in dieser unwirtlichen neuen Umgebung zurechtgefunden, da war ich auch schon schwanger. Ich wusste damals nicht, dass das die glücklichste Zeit in meiner Ehe sein würde, auf jeden Fall empfand ich diese Schwangerschaft als einen Lichtblick. Ich fühlte mich zum ersten Mal seit langer Zeit etwas unbeschwerter, spürte das neue Leben in mir und freute mich auf das Baby, das in meinem Bauch wuchs. Auch mein Mann schien voller Stolz und Tatendrang zu sein.
Als er mir eines Morgens auch noch offenbarte, dass wir nach Archer’s Post in ein kleines Holzhaus auf dem Grundstück meines Schwiegervaters ziehen würden, war ich überglücklich. Mein Schwiegervater hatte in Archer’s Post in der Armee gedient. Von seinem Sold hatte er sich einen kleinen Plot, ein Grundstück direkt an der Straße, gekauft und ein Haus darauf errichtet. Dort würden wir nun als Familie wohnen. Mein Mann arbeitete als Bankangestellter in Nanyuki, einer entfernten Marktstadt direkt am Mount Kenya, die direkt auf dem Äquator liegt. Die Woche über blieb er in Nanyuki und am Wochenende versuchte er zu uns nach Hause zu kommen. Doch schon bald ging ihm die Puste aus und die Abstände zwischen seinen Besuchen wurden immer größer. Die Reise auf der Dreckpiste durch das Hochland rund um Nanyuki bis nach Isiolo war beschwerlich und dauerte manchmal einen ganzen Tag. In Isiolo musste er dann manchmal stundenlang warten, bis eines der völlig überfüllten Matatus, der kenianischen
Großraumtaxis, ihn das letzte Stück auf der WellblechPiste bis nach Archer’s Post mitnahm. Manchmal sahen wir uns wochenlang nicht. Umso mehr war ich den Launen meines Schwiegervaters ausgeliefert.
Auch wenn ich die Ablehnung meiner Schwiegereltern von Anfang an gespürt hatte, versuchte ich sie mild zu stimmen und auf ihre Wünsche einzugehen. Mein Schwiegervater war beispielsweise von meinen Kochkünsten angetan. Anfang der Achtzigerjahre ernährten wir Samburus uns noch sehr traditionell und fast ausschließlich von einfacher Nomadenkost: dem Blut der Rinder, ihrer Milch und ihrem Fleisch. Ich erweiterte diesen Speiseplan allmählich, denn ich kochte nicht nur traditionelle Gerichte, sondern auch moderne kenianische Speisen, und meine Mutter hatte mir ihr rudimentäres Wissen über die italienische Küche, das sie sich bei den Nonnen in der italienischen Missionsküche angeeignet hatte, weitergegeben. Mit meinen Rezepten galt ich als ausgesprochen fortschrittlich.
Nach und nach führte ich Speisen ein, die im restlichen Kenia schon längst zu Nationalgerichten aufgestiegen waren. Ich kochte Irio, eine Art Gemüseeintopf, der bei den Samburus damals völlig unbekannt war, weil wir Nomaden traditionell kein Gemüse anbauen. Erbsen, Kürbis, Bohnen, Kartoffeln oder Mais kaufte ich in Isiolo, der benachbarten Kreishauptstadt, da diese Gemüsesorten damals in Archer’s Post nicht erhältlich waren, und zerkochte sie dann in einem großen Topf zu einem Brei. Allein um diese Zutaten zu bekommen, war ich viele Stunden unterwegs.
Als mein Schwiegervater für ein paar Tage ins Krankenhaus musste, bestand er darauf, dass ich ihm seine Suppe und später dann sein gebratenes Fleisch ins Krankenhaus nach Maralal, das nordwestlich von Archer’s Post liegt, brachte. In den ersten Tagen saß ich stundenlang an seinem Bett, da er sehr schwach war und ihn sonst keiner aus seiner Familie besuchte. Geduldig flößte ich ihm meine Bouillon ein, die ich aus Rinderknochen
gekocht hatte, und sorgte dafür, dass er wieder zu Kräften kam. In einem Plastikbehälter hatte ich die köstliche Suppe im Bus auf der staubigen Holperpiste bis nach Maralal transportiert. Bald
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