Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
wurde klar, dass sie dazu nicht in der Lage war. Mir wurde schwer ums Herz. Einmal mehr würden wir uns nicht wehren, denn es war nicht der erste Überfall, den wir nicht anzeigten.
Es hatte sich wohl herumgesprochen, dass wir mit unseren Ketten ganz gut verdienten. In unserer Gegend kam es ohnehin oft zu Raubüberfällen durch somalische Banden aus dem Nachbarland, doch dieses Mal waren es Samburus, die die Frau überfallen hatten. Sie waren offensichtlich der Überzeugung, dass ihnen das Geld aus dem Verkauf des Schmucks zustand, und sie waren sich sicher, dass die Frauen nie gegen die Überfälle angehen würden. Wir beschlossen, zukünftig nur noch in kleinen Gruppen auszuschwärmen. Um uns zu schützen, teilten wir uns in Teams ein: Einige fädelten die Ketten unter unserer Akazie auf, während andere sie verkaufen würden. Dennoch blieb ein Risiko, denn die Männer lauerten den Frauen oft auf dem Heimweg zu ihren Manyattas auf, wenn jede wieder allein unterwegs war.
Wir beschlossen, uns nun regelmäßig unter unserer Akazie zu treffen. Bei unseren Zusammenkünften sprachen wir häufig über Gewalt. Bislang hatten es die Frauen für völlig normal gehalten, von ihren Ehemännern geschlagen zu werden, doch je öfter wir darüber redeten, desto mehr Frauen begriffen, dass es an der Zeit war, etwas dagegen zu tun. Wir gelobten, einander
im Blick zu behalten. Doch das war gar nicht so einfach, denn wir lebten weit verstreut in kleinen Manyattas und Dörfern, manche von uns Hunderte Kilometer von der Nächsten entfernt. Oft vergingen Tage, bis wir erfuhren, dass eine Frau von ihrem Mann derart verprügelt worden war, dass sie kaum laufen konnte. Meist war sie dann von der Gunst einer Nachbarin abhängig. Wenn wir es doch mitbekamen, schickten wir wenn irgend möglich ein paar Frauen, die sich um die Kinder und die Verletzte kümmerten.
Ich setzte mich nun auch verstärkt für die Frauen ein, die von britischen Soldaten vergewaltigt worden waren. Oft kamen sie in meinen Laden und weinten sich bei mir aus. In ihren eigenen Dörfern wurden sie geächtet. Die Leute in Archer’s Post gingen ihnen ebenfalls aus dem Weg, die Alten bespuckten sie sogar und verurteilten sie gnadenlos als Huren. Immer wieder versuchte ich zu vermitteln und erklärte, dass man sie vergewaltigt hatte. Doch keiner wollte etwas mit den Frauen und den Kindern, die aus solchen Vergewaltigungen hervorgegangen waren, zu tun haben.
Die Kinder wurden von allen gehänselt. Man nannte sie »point five«, »null komma fünf«, was so viel wie »halb weiß, halb schwarz« bedeutet – eine Anspielung auf ihre helle Hautfarbe. Andere beschimpften sie als Mzungus, Weiße, die hier nichts verloren hätten. Sie galten als Kinder der verhassten britischen Soldaten, die ohnehin den meisten Menschen in Archer’s Post ein Dorn im Auge waren. Keiner verstand, warum es das Armeecamp der Briten auch lange nach Ende der Kolonialzeit immer noch gab. Die Kinder erinnerten also gewissermaßen auch daran, dass sich die Briten einfach nahmen, was sie wollten – und das erregte die Gemüter.
Ich versuchte die Frauen bei jeder Gelegenheit zu unterstützen und verkaufte ihre gegerbten Felle und ihre selbst gefädelten Ketten für sie. Häufig waren es Tauschgeschäfte. Sie gaben mir die Felle und bekamen dafür Mehl, Öl und Zucker
von mir. Manchmal setzte ich mich dann noch mit ihnen auf meine Veranda und sie schütteten mir bei einer Tasse Tee ihr Herz aus.
Nicht wenige dieser Frauen schlugen sich dank ihrer Einnahmen aus dem Verkauf von Perlenketten allein mit ihren Kindern durch, denn ihre Männer hatten sie vor die Tür gesetzt und keine von denen, die ich in jener Zeit kennenlernte, konnte je zu ihrer Familie zurückkehren. Einige der Frauen verließen auch irgendwann Archer’s Post mit ihren Kindern, da sie die ständigen Anfeindungen nicht aushielten. Sie versuchten sich woanders in Kenia ein neues Leben aufzubauen. Von ihnen hörten wir nie wieder etwas.
In Archer’s Post sprachen die Frauen mittlerweile voller Bewunderung von unserer Rebellion. Umoja, der Name unserer Gruppe, war in aller Munde. Zwar hatten die meisten Frauen keine klare Vorstellung von dem, was wir wollten und was wir machten, doch ihre Neugierde war groß. Die Männer diffamierten uns als Lesben und untersagten ihren Frauen, mit und über uns zu reden, geschweige denn sich uns anzuschließen. Sie warfen mir vor, ihre Frauen aufzuhetzen, und machten mich für die vermeintlich aufmüpfige
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