Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
ich nur noch aus dünnen Schlitzen sehen konnte. Dann nahm ich plötzlich eine Silhouette wahr. Jemand, der sich mir vorsichtig näherte. Mein Herz pochte. Ich verhielt mich still und weinte Freudentränen, als ich Nagusis Stimme erkannte. Ich nahm sie nur schemenhaft wahr. Nagusi kniete neben mir und tupfte vorsichtig meine Stirn und mein Gesicht mit einem nassen Tuch ab. Behutsam schob sie mir ein paar Tücher unter den Kopf. »Wer hat dir das nur angetan?«, fragte sie entsetzt. Ächzend versuchte ich mich aufzurichten. Ich konnte kaum reden vor Schmerzen und war erleichtert, als sie mir mit etwas Wasser ein paar Schmerztabletten einflößte. Ich war ein menschliches Wrack. Dann brachte mich Nagusi in mein Bett, wo ich stöhnend in einen unruhigen Dämmerschlaf fiel.
Als mein Mann an diesem Abend nach Hause kam, musterte er mich wortlos. Er stand einfach nur da und starrte mich an. Kein Wort kam über seine Lippen. Kein Wort des Bedauerns. Kein Wort des Mitleids. Ich war fassungslos. Wie konnte er einfach nur dastehen und nichts tun? Wie konnte er so herzlos sein? »Schau, wie sie mich zugerichtet haben«, flüsterte ich und weinte bitterlich. In mir zerbrach eine Welt. Ich begriff, dass der Mann, mit dem ich vier Kinder hatte, schon lange nicht mehr auf meiner Seite stand. Ich hatte alles verloren. Am liebsten hätte ich laut losgebrüllt. Dies war wohl der schmerzlichste Moment in meinem Leben. »Wie konnte es nur so weit kommen? «, fragte ich mich in dieser Nacht. Wie konnte der Hass meiner Schwiegereltern meine Ehe so vergiften? Ich war davon überzeugt, dass meine Schwiegereltern die Schläger beauftragt hatten. Vielleicht hatte mein Mann sogar eingewilligt. Wortlos packte ich meine paar Klamotten und verließ das Haus.
Nagusi brachte mich nach Isiolo ins Krankenhaus. Auf dem Weg dorthin musste sie mich stützen, denn jeder Schritt schmerzte. Nur mühsam konnte ich meine Beine bewegen.
Wie eine Greisin setzte ich einen Fuß vor den anderen. »Wer hat dir das nur angetan?«, fragte Nagusi immer wieder, als wir endlich in einem Matatu saßen. Leise stimmte sie das Lied unserer Gruppe Umoja an, um mich abzulenken, denn das Schaukeln des Busses setzte mir arg zu. Ich war neben ihr zusammengesunken und froh, als wir endlich in Isiolo angekommen waren. »Das darf nie wieder passieren. Wir müssen aufeinander aufpassen«, flüsterte sie mir zu, als ich unter Schmerzen aus dem Bus stieg. Ich glaube, sie hätte am liebsten geheult, weil es ihr so wehtat, mich in diesem Zustand zu sehen. Aber sie biss die Zähne zusammen. Sie wusste, dass sie jetzt stark sein musste, um mich zu stützen. »Wir können uns nur gegenseitig schützen. Warum leben wir nicht einfach zusammen? «, meinte Nagusi, als wir in der Notaufnahme des Kreiskrankenhauses warteten, wo noch andere Frauen mit ähnlichen Verletzungen saßen.
Nagusi kannte diese Situation nur zu gut. Sie war von ihrem Ehemann jahrelang verprügelt worden und nun schon lange auf der Flucht. Nagusi hatte es satt, vor ihrem Mann davonlaufen zu müssen. Sie wollte endlich zur Ruhe kommen. Manchmal wusste sie nicht wohin und weinte sich bei mir aus. »Wir dürfen uns nicht mehr treten, prügeln und vertreiben lassen«, sagte sie und schaute mich sorgenvoll an. Die Ärzte hatten mich versorgt und ich lag endlich völlig erschöpft, aber auch erleichtert, dass die Schmerzen langsam nachließen, auf einer Krankenhauspritsche. Die Schmerzmittel breiteten sich wohlig in meinem Körper aus, sodass ich endlich wieder klare Gedanken fassen konnte und nicht mehr nur an meinen geschundenen Körper dachte.
»Lass uns gemeinsam etwas aufbauen«, erklärte ich mit der letzten Kraft, die ich in dem Moment aufbrachte. »Warum gründen wir nicht ein Dorf? Ein Dorf nur für Frauen.« Kaum hatte ich diese Worte gesagt, fiel mir Nagusi um den Hals. Trotz der Qual war ich wie elektrisiert. Mein Einfall wirkte wie
ein Stromschlag, der mich reanimierte. Ich fühlte mich zwar schwach und fürchterlich müde, aber für einen kurzen Moment riss mich dieser Gedankenblitz aus meiner Erschöpfung. Das Gefühl der Ohnmacht und meine Wut waren wie weggeblasen. Plötzlich stand diese Idee im Raum, die mir unendlich viel Mut machte. Diese Vision würde mich nie wieder loslassen. Ab jetzt gab es kein Zurück mehr.
Nagusi nickte. Wir strahlten uns an. Wir wussten, dass fast jede Frau in unserer Gruppe auf die eine oder andere Art Gewalt über sich hatte ergehen lassen müssen. Plötzlich schien das die
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