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Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Titel: Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Birgit;Lolosoli Virnich
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kannten, schwärmten aus, um Kuhdung zu suchen; andere sammelten Zweige und Sträucher, die uns als Baumaterial dienten.
    Bald darauf hatten wir mit dem Unterbau unserer ersten Hütte aus Zedernstämmen begonnen, während die anderen bereits geduldig aus Zweigen das Dach fertigten. Auch wenn wir schwitzten und die Schlepperei anstrengend war, es war herrlich, nach unseren eigenen Vorstellungen bauen zu können. Zwar ist das Errichten der Häuser in der Samburu-Kultur ohnehin Frauensache und wir kannten uns gut aus, doch meist redeten uns die Männer rein und legten fest, wo die Hütten errichtet werden sollten. Hier waren wir unsere eigenen Bauherrinnen und genossen das in vollen Zügen. Wir sangen und tanzten, um die einzelnen Bauetappen zu feiern. Unsere Stimmung war gut. Und ich erholte mich zunehmend.
    Als wir alle gemeinsam an unserer Feuerstelle eine kleine Pause einlegten, begann eine der Frauen, die bisher eher verschlossen gewesen war, zu erzählen. Sie war in dieser Gegend aufgewachsen, hatte hier aber auch die schlimmsten Stunden in ihrem Leben erlitten. Die Erinnerungen werden sie wohl nie wieder loslassen. Hier auf diesem Feld war sie von einem
britischen Soldaten vergewaltigt worden. Das hatte ihre ganze Existenz verändert. Ihr Mann hatte sie vor die Tür gesetzt. Ihre Familie hatte sie verbannt. »Durch diese Vergewaltigung habe ich mein altes Leben verloren«, klagte sie. Sie hatte seit der Verbannung nicht mehr mit ihrem Mann gesprochen. Die Tatsache, dass wir nun genau hier unser Frauendorf errichteten, kam einem Triumph über das Böse gleich. Wir würden uns nicht unterkriegen lassen. Wir würden auferstehen wie Phönix aus der Asche, gelobten wir.
    Für die Frauen, die Ähnliches erlebt hatten, war es erleichternd zu hören, wie andere mit ihrem Schicksal umgingen. Diese Gespräche halfen ihnen, sich zu öffnen. Die meisten hatten jahrelang geschwiegen und ihre fürchterlichen Schicksalsschläge in ihrem Herzen begraben. Hier im Kreise der Frauen sprachen sie erstmals über die Gewalt, die sie aus der Bahn geworfen hatte. Sie alle hatten ähnliche Geschichten erlebt: Vergewaltigungen und Verbannung oder jahrelange Misshandlungen. Anfangs flossen viele Tränen. Allmählich wurde ihnen klar, dass sie keine Einzelschicksale waren. Sie alle hatten ähnliche Dinge erlebt. Als Wortführerin dieses kleinen Kollektivs sorgte ich dafür, dass die Frauen sich Zeit nahmen, über ihre Vergangenheit zu sprechen, weil es allen guttat, sich endlich aussprechen und austauschen zu können.
    Wir beschlossen, die nächsten Hütten so schnell wie möglich weiterzubauen, damit bald alle ein Dach über dem Kopf hatten. Auch wenn wir hart schufteten, blühten die meisten von uns auf. Manche Frauen übernahmen nach all den Demütigungen zum ersten Mal in ihrem Leben Verantwortung. Auch wenn wir uns nur Ugali-Maisbrei leisten konnten, so waren wir zufrieden, wenn wir uns abends am Feuer unsere bescheidenen Mahlzeiten kochten. Mit jedem neuen Tag wuchs unser Dorf und unser Selbstbewusstsein.
    Doch langsam holte mich meine Vergangenheit ein. Ich dachte ständig an meine Kinder und vermisste sie schrecklich.
Eines Tages standen plötzlich einige der Apayas aus dem Ältestenrat aus Archer’s Post an unserem Zaun und wollten mit mir sprechen. Die Gruppe alter Herren in ihren roten Decken wollte mich überreden, zu meiner Familie zurückzukehren. Unter einer Akazie baten sie mich ihnen zu erzählen, was geschehen war. Anfangs hatte ich einen Kloß im Hals, fühlte mich beklommen und konnte kaum etwas sagen. Doch dann brach es aus mir heraus und ich hielt auch nicht mit meiner Vermutung hinter dem Berg, dass mein Schwiegervater möglicherweise hinter dem Überfall stand. Der Konflikt mit meinen Schwiegereltern habe meine ganze Ehe vergiftet, klagte ich. Die alten Herren wussten um unsere Familienfehde und hörten sich meine Schilderung geduldig an. Ich solle an meine Kinder denken, erklärten sie. Aufrecht und stolz saßen sie vor mir. Jeder von ihnen hatte eine andere Kopfbedeckung, alte Hüte oder Baseballkappen. In ihren ausgeleierten Ohrläppchen baumelten schwere Kupferohrringe. Ihre faltigen Gesichter spiegelten den Lauf der Zeit. Mit ihren tiefen Stimmen erklärten sie mir, dass ich nun über mich hinauswachsen müsse. Um meinen Kindern eine gute Mutter zu sein, müsse ich zurückkehren und die Differenzen mit meinem Schwiegervater begraben. »Ihr müsst neu anfangen«, meinten sie. »Ihr müsst beide mehr Respekt

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