Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
füreinander zeigen. Wir werden mit ihm und deinem Mann reden.«
Einige Tage später kehrte ich nach Archer’s Post zu meiner Familie zurück. Meine vier Kinder waren außer sich vor Freude. Sie plapperten munter durcheinander und erzählten mir freudig ihre Erlebnisse der letzten Wochen. Sie hatten von meinen Verletzungen nichts mitbekommen und mich zum Glück nicht so fürchterlich zugerichtet gesehen. Als meine Schwiegereltern das erste Mal wieder zum Essen kamen, hielt ich den Atem an. Mein Schwiegervater erkundigte sich, wie es mir gehe. Er wirkte fast zuvorkommend. Doch ich glaubte ihm kein Wort. Ich spürte, dass seine Anteilnahme nur geheuchelt
war, und starrte ihn prüfend an. Selbstbewusst erklärte ich, dass es mir gut gehe. Ich wollte mir keine Blöße geben. Jetzt, da ich mich erholt hatte, wollte ich nicht preisgeben, wie sehr mich die Schläger seinerzeit verletzt hatten. Kein Wort verlor ich über die fürchterlichen Schmerzen, die Erniedrigung. Voller Stolz schaute ich ihn an und ließ nicht durchblicken, wie sehr mich der Übergriff aus der Bahn geworfen hatte. Es war wie ein unausgesprochenes eisernes Gesetz zwischen uns, dass wir nicht über den Überfall redeten. Sie wollten nicht, dass ich sie öffentlich anschuldigte, und ich verabscheute ihr vorgegaukeltes Mitleid. Für mich stand fest, dass mein Schwiegervater für mein Leid verantwortlich war, dass ich es aber nie würde beweisen können. Jegliches Vertrauen war erloschen.
Mir ging es nur darum, für meine Kinder da zu sein. Dafür unterdrückte ich meine Ressentiments gegen meinen Schwiegervater, wenn es mir auch nur mühsam gelang. Mein Mann gab sich anfangs alle erdenkliche Mühe, keine schlechte Stimmung aufkommen zu lassen. Wir redeten über Dinge, von denen wir glaubten, dass sie keinen Konfliktstoff böten, das Wetter und die Schule der Kinder. Wir hatten ein Kindermädchen eingestellt. Die zwanzigjährige Nanyimoi erledigte den Haushalt für uns und passte auf die Kinder auf. Sie schlief bei uns, wenn ich nachts nicht nach Hause kam, weil ich bei den Frauen war. So oft es ging, stahl ich mich davon und lief nach Umoja, um beim Bau der Hütten mithelfen zu können. Mein Mann war als gewählter Vorsitzender des Samburu-Rats auch viel unterwegs und so konnten wir uns gut aus dem Wege gehen.
Doch schon bald brachen unsere alten Konflikte wieder auf und beherrschten unseren Alltag. Die Streitereien mit meinem Schwiegervater legten sich wie ein Schatten über unser Familienleben. Auch mäkelte mein Mann ständig an mir herum und wir stritten uns immer häufiger. Manchmal wurde er handgreiflich und schlug mich wegen Nichtigkeiten. Mal schmeckte ihm mein Essen nicht, mal beschwerte er sich, dass
ich nicht genügend Zeit zu Hause verbringen würde. In dieser Zeit trank er immer häufiger und kam dann ständig betrunken nach Hause. Zunehmend gingen wir einander aus dem Weg. Ich machte einen Bogen um ihn, um seinen herablassenden Kommentaren zu entgehen. Bei den Frauen hingegen tankte ich wieder Energie auf, die ich daheim bei den vielen Scharmützeln verlor. Eines Tages, als ich wieder bei den Frauen war und sie mir halfen, meinen Kopfschmuck aufzusetzen, stellte ich fest, dass ich wieder schwanger war. Ich trug mein fünftes Kind in mir. Was sollte nur werden?, fragte ich mich. Zu Hause kam ich mir oft fremd vor, während ich hier in Umoja eine Freiheit verspürte, die ich so eigentlich nur als Kind in Wamba erlebt hatte, als mein Vater noch lebte.
Der Zusammenhalt unter uns Frauen wuchs mit jedem Tag. Nagusi, deren Leben völlig aus den Fugen geraten war, berappelte sich zunehmend und übernahm innerhalb der Gruppe immer mehr Verantwortung. Wenn ich nicht da war, kümmerte sie sich um die Organisation. Durch die gemeinsame Arbeit, die täglichen Gesänge und Gespräche fanden die Frauen langsam zu sich und ließen nach und nach ihr altes Leben hinter sich zurück.
Eines Morgens stand plötzlich ein junges Mädchen an unserem Dornenzaun. Von unserer Feuerstelle aus sahen wir, wie sie ihr Bündel ablegte und uns um Einlass bat. Sie wirkte erschöpft und verzweifelt und sie war ganz offensichtlich weit gelaufen. Stockend erzählte sie uns ihre Geschichte. Wie viele Samburu-Mädchen sollte die fünfzehnjährige Lucy Lentokoko an einen sechzig Jahre alten Mann verheiratet werden. »Er musste sich beim Gehen auf einen Stock stützen«, klagte sie. »Dann kann ich ja gleich meinen Großvater heiraten«, hatte sie ihrer Mutter gesagt. Sie
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