Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
hatte ihre Eltern angefleht, ihr dieses Schicksal zu ersparen. Ihre Mutter hatte daraufhin versucht, sie vor dieser Ehe zu bewahren, doch ihr Vater hatte keine Gnade gezeigt und auf diese Verbindung bestanden. Die
Familie brauchte das Brautgeld zum Überleben. Er hatte seine Frau sogar verprügelt, weil sie ihm widersprochen hatte.
Für das junge Mädchen war eine Welt zusammengebrochen. Nachts, als alle schliefen, hatte sie sich aus der Manyatta ihrer Mutter davongestohlen. Aus Angst, entdeckt zu werden, war sie in der Dunkelheit kilometerweit gelaufen. Als sie in der Nähe von Archer’s Post völlig erschöpft Rast machte, hatten ihr unten an der Brücke am Ortseingang ein paar alte Damen den Tipp gegeben, das Dorf der Frauen zu suchen. »Nicht weit von hier wirst du sie finden, Frauen, die sich von Männern nichts gefallen lassen«, hatten sie ihr hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert und gekichert. »Hier bin ich«, beendete die Fünfzehnjährige ihren Bericht. »Darf ich bei euch mitmachen?«
Ohne zu zögern nahmen wir Lucy auf. Sie sollte eine der tragenden Säulen von Umoja werden. Durch ihre Geschichte wurde uns plötzlich klar, dass man uns da draußen wahrnahm. Obwohl wir noch mitten im Bau waren, hatte sich die Kunde von unserem Dorf herumgesprochen. Einige Leute in der Umgebung waren entsetzt, andere frohlockten. Doch in jedem Fall wurden wir bemerkt und waren im Gespräch, und das war herrlich.
Nagusi und ich freuten uns diebisch. Wir beschlossen, dass es an der Zeit sei, mit einem kleinen Trupp von Frauen in Archer’s Post einzukaufen, denn wir hatten vom Verkauf des Schmucks etwas Geld zurücklegen können. Also machten wir uns auf den Weg. Als wir in Archer’s Post angekommen waren, standen dort junge Samburus auf Brautschau vor den Dukas. Sobald sie die Gruppe der Frauen aus Umoja wahrnahmen, verstummten ihre Gespräche schlagartig. Skeptisch beäugten sie uns. »Mit denen ist nicht gut Kirschen essen«, polterten die Älteren. »Was ist mit euch los? Glaubt ihr wohl, dass ihr etwas Besseres seid?«, fragten sie gereizt. Ohne eine Antwort abzuwarten, schimpften sie gleich weiter: »Ihr solltet euch schämen. Ihr habt wohl unsere Tradition vergessen. Ihr seid Frauen, also
ist es eure Pflicht, uns zu gehorchen. Seid ihr etwa nicht stolz darauf, Nomadinnen zu sein?« Laut fluchend erhoben die alten Männer ihre Rungus und drohten den Frauen Prügel an. Die Jüngeren beschimpften uns verächtlich als Lesben und Huren. In den Kneipen von Archer’s Post hatte es hitzige Debatten über unsere Machenschaften am Fluss gegeben. Sie hatten die Viehhirten über uns ausgefragt und viele der Männer hatten uns für größenwahnsinnig erklärt. Das könne nicht gut gehen. Ein Dorf, in dem nur Frauen wohnten, sei wider die Natur. Männer und Frauen seien dazu bestimmt, miteinander zu leben. Eine heftige Diskussion war ausgebrochen.
»Wo ist denn deine Frau?«, provozierte Nagusi einen der älteren Männer, dessen Frau in Umoja untergetaucht war. »Gib zu, sie ist dir weggelaufen, weil du sie schlecht behandelt hast. Warum schläfst du sonst nachts hier draußen auf der Veranda? Selbst schuld.« Selbstbewusst beendete sie mit diesen Worten das Gespräch und ließ den entsetzten Mann stehen. Diese dreisten Worte aus dem Mund einer Frau hatten ihm die Sprache verschlagen. Triumphierend wandte sich Nagusi einem Ladenbesitzer zu, bei dem wir eine Ziege kaufen wollten. Sobald sie sich handelseinig waren, nahmen Nagusi und die Frauen einen Strick und führten die kleine weiße Ziege erhobenen Hauptes über die Hauptstraße durch das ganze Dorf. An jeder Duka, an der sie vorbeischritten, verebbte das Gespräch. Es war, als hielte das Dorf den Atem an. Eine unglaubliche Anspannung lag in der Luft.
An unsere ständigen Frauentreffen in meinem Laden und unter der Dorfakazie hatten sich die Männer gewöhnt gehabt. Doch ein Frauendorf überstieg die Vorstellungskraft der meisten. Wir waren ihnen unheimlich geworden. Sie waren davon ausgegangen, dass ich nach dem Vorfall in meinem Laden klein beigeben würde, doch nun schien ich mich einfach über alle Vorschriften hinwegzusetzen. Wie würde es nun weitergehen? Würden die Alten einschreiten? Für einen Moment lag
der Konflikt zwischen den alten Männern und uns spürbar in der Luft. Doch dann geschah nichts. Wir zogen einfach weiter: Eine kleine bunte Frauenschar schritt erhobenen Hauptes über die staubige Hauptstraße von Archer’s Post. Vor den Augen aller
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