Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
beteten wir an der »Freiheitsecke«, der sogenannten Freedom Corner, zwischen jauchzenden Kindern, Liebespaaren und Musikern bei herrlichem Wetter. Die Sonne schien, keine einzige Wolke trübte den strahlend blauen Himmel. Ich blickte hoch in die mächtigen Baumkronen und saugte die Kraft ein, die diese Riesen auf mich ausstrahlten. Jeder einzelne steht für das unbändige Streben nach Freiheit. Stolz ragten sie in den Himmel und erinnerten mich daran, wie klein mein Einsatz bisher gewesen war. Meine Vorfahren hatten ihr Leben für ihre Überzeugung geopfert. »Möge ich doch nur einen Hauch ihres Mutes aufbringen«, wünschte ich mir und schwörte, ihrem Vorbild nachzueifern.
»Möge Gott, Ngai, uns die Kraft geben für die lange Fahrt durch den Norden Kenias, durch Uganda, Ruanda bis nach Bukavu«, beteten wir gemeinsam im Kreis und hielten uns fest an den Händen. »Möge er uns dabei unterstützen, den Kongolesinnen, die seit Jahren von Milizen und Regierungssoldaten brutal missbraucht werden, Mut zu machen.« Mit unserem Marsch durch Bukavu wollten wir einen Aufschrei der Empörung um die Welt schicken: »Stoppt die Massenvergewaltigungen«,
so lautete unser Appell an Politiker, Soldaten, Milizen und Warlords, die alle vom Krieg profitierten.
Es war noch dunkel und ungewöhnlich still im Geschäftsbezirk von Nairobi, als sich der altersschwache, knallrot angemalte Nissan-Bus, der Kampala-Express, mühsam in Gang setzte. Die ersten dunklen Gestalten, Männer in Anzügen und Krawatten und Frauen in Kostümen, huschten eilig in die Bürotürme, während sich hupende Matatus an den Straßenecken in Position brachten und ihren Kampf um Kunden mit einem lautstarken »Bepa, Bepa« aufnahmen: »Steigt ein, steigt ein.« Unweit von hier hatte ich die ersten Wochen in düsteren Absteigen verbracht. Damals kannte ich keine Menschenseele außer Nagusi, inzwischen war ich von lauter Kenianerinnen umgeben, die ähnlich dachten wie ich.
Ein paar Wochen zuvor hatte ich zum ersten Mal vom Weltfrauenmarsch gehört, jetzt war ich eine der kenianischen Delegierten und reiste zum ersten Mal in meinem Leben quer durch Afrika. Ich fühlte mich erschöpft vom vielen Vagabundieren, aber bester Laune. Über Thermoskannen voller dampfendem Chai, die die Runde machten, erzählten die Frauen von ihren Familien, die sie zurückgelassen hatten, und auch mich holten meine Alltagssorgen ein. Meiner Tochter Sylvia, die in Rongai, im Süden Nairobis, zur Schule ging, drohte der Schulausschluss, wenn wir die Gebühren nicht aufbringen könnten. Bis spät in die Nacht hatte ich am Tag zuvor verzweifelt herumtelefoniert und am Ende meine sechzehnjährige Tochter gebeten, ihren Vater selbst um Geld zu bitten. Jetzt musste er sich kümmern. Die Kneipe, die er inzwischen in Archer’s Post betrieb, lief gut. Doch ich wollte nicht mit ihm sprechen. Nach all dem, was geschehen war, würde ich ihn jetzt nicht um Geld bitten. Ich hatte Sylvia um Verständnis gebeten.
Eine laute Lobeshymne auf die Frauen Kenias, Afrikas und im Ostkongo riss mich aus meinen düsteren Gedanken. »Wir werden euch beistehen in eurem Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit,
wir, die Mütter Afrikas«, sangen die Frauen im Bus. Dabei strahlten sie und schaukelten in ihren Sitzen zum Rhythmus des fahrenden Busses. »Wir wollen euch Kraft geben. « Ein Wunsch, der naiv wirkte, denn bislang ist es keinem gelungen, den Krieg im Ostkongo zu beenden, und solange er anhielt, konnten Milizen und Soldaten die reichen Bodenschätze der Region wie Diamanten, Gold und Coltan ungehindert abbauen und damit den ganzen Landstrich ausbeuten. »Die Kraft afrikanischer Frauen kann Berge versetzen«, so das Lied der Frauen. Und schon sprangen Lydiah und Limo, zwei angehende kenianische Sängerinnen, in den Mittelgang des Busses und äfften mit ihren kraftvollen Stimmen zum tosenden Beifall der Frauen korrupte Politiker und eitle Militärs nach. Bald tobte der ganze Bus.
So ausgelassen hatte ich mich seit Tagen nicht mehr gefühlt. Der Stress der Großstadt, der Lärm und der Gestank im Slum, die Sorge um meine Zukunft – alles war wie weggeblasen. Gestern war ich noch niedergeschlagen und abgekämpft vor dem Haus, in dem ich wohnte, auf einer kleinen Steinmauer gesessen und hatte auf das Meer von Wellblechhütten in Kibera geschaut. Ich fühlte mich gefangen im Armenhaus Nairobis, in dem ich mich monatelang vor meinem Mann versteckt gehalten hatte. An solchen Tagen schien die Situation völlig
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