Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Bissen herunter. Ab und zu ließ Tom durchblicken, dass er mich vermisst hatte. Ich war völlig überwältigt, traute aber diesen neuen Tönen nicht ganz. Schließlich hatte er immer zu seinem Vater gehalten, mich schlechtgemacht. Argwöhnisch nickte ich nur.
In den folgenden Tagen besuchte er mich noch öfter. Stundenlang saß er in dem engen, gefliesten Schlafzimmer an meinem Computer und chattete mit seinen Freunden. Gemeinsam mit anderen jungen Samburus hatte er die Plattform Samburu Eastern Development Forum aufgebaut, um über die Probleme der Samburus zu diskutieren. Während der Dürre 2009 hatten sie sich auf diesem Weg über Weidegründe, Wasserressourcen und Seuchen ausgetauscht und konnten die Not mit ihren gegenseitigen Ratschlägen wenigstens etwas lindern. Während der Unruhen nach den kenianischen Wahlen im Jahr 2007 organisierten die jungen Leute eine Friedenskarawane, um für die Verbrüderung und Annäherung der verfeindeten Volksgruppen zu werben.
Tom sah in diesem Forum die Zukunft der Samburus. Immer mehr junge Männer haben wie Tom einen Schul- oder gar Universitätsabschluss. In ihrem Netzwerk wollen sie Experten, potenzielle Investoren und die Sprecher der Gruppenfarmen der Samburus zusammenbringen. So wollen sie in den nächsten Jahren die wirtschaftliche Entwicklung im Samburu-Distrikt vorantreiben. Tom war stolz auf dieses Forum und einer
der Wortführer im Internet. Voller Euphorie sprach er mit mir über seine Pläne. Ich hatte den Eindruck, dass er die Führungsqualitäten von seinem Vater und von mir geerbt hat. Wie mir ging es ihm darum, die wirtschaftliche Lage der Samburus zu verbessern, wobei ich mich auf die Situation der Frauen konzentrierte. Ich würde mich also weiter um die Zukunft der Frauen kümmern, während er es sich zur Aufgabe gemacht hatte, seine Generation gebildeter Samburus zu mobilisieren.
Den schwelenden Familienkonflikt vermieden wir anzusprechen. Ich spürte, dass Tom alles dafür tun wollte, seinen Vater und mich wieder zusammenzubringen. Das entsprach ganz seinem Naturell. Tom war schon immer ein guter Stratege gewesen. Er hatte gewartet, bis sich die Gemüter beruhigt hatten, bevor er Kontakt zu mir suchte – in der Hoffnung, dass er uns so wieder versöhnen könne.
Doch mein Entschluss stand fest. Ich hatte mir in Kibera langsam auch ein eigenes Leben aufgebaut und setzte mich nun auch hier im Slum für die Rechte der Frauen ein. In ein paar Wochen wollte ich mit kenianischen Aktivistinnen am Weltfrauenmarsch im Ostkongo teilnehmen und gegen die Massenvergewaltigungen in dem anhaltenden Konflikt demonstrieren. Doch zunächst einmal mussten wir das Geld für die Reise zusammenbekommen.
DER WELTFRAUENMARSCH IM OSTKONGO
Wie jeden Samstagabend wühlten sich die Menschen in Kibera durch den aufgeweichten Matsch der engen Gassen. Rauch stieg aus den Schornsteinen und von kleinen Feuerstellen auf und legte sich wie ein Schleier über die Bretterverschläge des riesigen Elendsviertels. Vor den schmierigen Bratrostbuden standen die Leute Schlange, um sich wenigstens am Wochenende ein Stück gegrilltes Fleisch, Njama Choma, zu gönnen, das Lieblingsgericht der Kenianer. Ein paar in enge Drahtkäfige gezwängte Hühner krähten jämmerlich, als wüssten sie, dass es ihnen in dieser Nacht an den Kragen gehen sollte. Trotz der Armut freuten sich die Menschen auf das Wochenende. Manche ertränkten dann ihre Sorgen in selbst gebranntem Changaa, dessen Wasser aus dem völlig verdreckten Nairobi-Fluss stammt. Innerhalb von ein paar Stunden waren die meisten betrunken. Deshalb huschte ich nun hastig mit meinen drei Samburu-Freundinnen Beatrice, Lucy und Nanyimoi durch die verwinkelten Dreckpisten an fensterlosen winzigen Räumen vorbei, in die ganze Familien gepfercht lebten. Der Gestank war widerlich. Junge Männer, die auf alten Holzkarren ganze Sofagarnituren durch den Slum schoben, kamen uns ächzend entgegen.
Wir eilten leise tuschelnd mit unseren traditionellen Röcken, an denen kleine Glöckchen im Rhythmus bimmeln, an Frauen vorbei, die vor den stinkenden Kloaken ihre Haare für das
Wochenende flochten. Staunend musterten sie unseren prächtigen Schmuck und die leuchtenden Farben unserer Shukas. Wir hatten uns für eine Benefizgala für vergewaltigte Frauen im Ostkongo herausgeputzt und sollten in einem Hotel in der Innenstadt einem Großstadtpublikum die Geschichte von Umoja erzählen. So wollten wir Geld für unseren geplanten Weltfrauenmarsch nach Bukavu
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