Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
verfahren und aussichtslos. Ich wusste keine Antworten mehr, obwohl ich zäh bin, und blickte niedergeschlagen auf die stinkenden Abwässer, um die junge Samburu-Frau und ihren Freund auch mal allein in ihrer Wohnung zu lassen. Ich hatte Umoja vor mehr als einem Jahr verlassen und fühlte mich wie die vielen Gehetzten, die durch Kibera eilten und ihren Lebensunterhalt zusammenkratzten. Ich überlegte immer wieder verzweifelt, wie ich diesem Wettrennen gegen die Zeit endlich ein Ende bereiten konnte.
Der laute Gesang der Frauen riss mich aus meinen trüben Gedanken. Lucys Gesicht neben mir hellte sich auf. Sie strahlte.
Ich lehnte mich in dem roten Plüschsitz zurück, als Kekse, Wasserflaschen und Bücher die Runde machten. Entspannt schaute ich aus dem Fenster auf die saftigen Felder, die an uns vorbeiflogen. »Mama Mutig« nannten mich die anderen Frauen und umarmten mich. Ich war erleichtert. Endlich fielen meine Sorgen von mir ab. Wir lachten gemeinsam. Mein Mut sei größer als der der meisten Menschen, schwärmten meine Mitstreiterinnen.
Als ich das Umoja-Frauennetzwerk in meinem kleinen Laden aufgebaut hatte, waren einige dieser Aktivistinnen Anfang der Neunzigerjahre für das Mehrparteien-System in Kenia auf die Straße gegangen. Ich war froh, mich endlich mit ihnen und mit jungen Kenianerinnen austauschen zu können, die studiert hatten und in Slumprojekten für die Frauenrechte arbeiteten. »Ich bewundere dich seit Jahren«, sagte Sylvia Dowllar, die Organisatorin unserer Gruppe. »Ich bin froh, dass du dabei bist. Wir brauchen Frauen wie dich.« Das war wie Balsam für meine angeschlagene Seele. Es gab also doch ein paar Menschen in Nairobi, die wahrgenommen hatten, was wir im abgelegenen Norden Kenias auf die Beine gestellt hatten. Ein kenianischer Journalist hatte in einem Artikel über Afrikas starke Frauen geschrieben, ich sei schon eine Feministin gewesen, bevor ich das Wort überhaupt gekannt hätte.
»Ich bin mit diesem Gemeinschaftssinn unter den Frauen in Wamba aufgewachsen«, erkläre ich Sylvia. »Bei uns blieb früher keiner hungrig auf der Strecke.« Ich erinnere mich noch genau: In der traditionellen Samburu-Gesellschaft haben wir Frauen schon immer aufeinander aufgepasst. So hatten sich auch meine Stiefmütter, die Frauen meines Vaters, um mich gekümmert. Bei einer von ihnen bekam ich immer etwas zu essen. Frauen, die sich gegenseitig helfen – das ist mein Leben. Das Leben, das ich liebe. Ein Leben im Frauen-Netzwerk. Ich lehnte mich zurück, lächelte Sophie zu und genoss den Ausblick auf die Landschaft.
Zum ersten Mal seit Wochen verblasste meine Furcht vor der Zukunft. Sie verflüchtigte sich in den Weiten des afrikanischen Grabenbruchs, der sich plötzlich vor uns öffnete, als sich der Bus ächzend über einen steilen Kamm schob. Der erhabene Anblick des mächtigen Rift Valley verschlug mir die Sprache. Ich war überwältigt. Ich hatte bisher wenig von Afrika gesehen und auch Kenia kannte ich eigentlich kaum. Diese großartige Landschaft erfüllte mich mit Stolz. Auf einmal wurde mir klar: Es gibt Größeres als die Samburus und ihre Traditionen. Ich beschloss, meine eigenen Probleme wenigstens für ein paar Tage auszublenden. Eine Woche lang wollte ich endlich einmal nicht über meine Entwurzelung, die ständigen Wohnungswechsel, meine Geldsorgen und den bevorstehenden Scheidungsprozess gegen meinen Mann nachdenken. Endlich einmal nicht auf der Flucht sein – hier unter den Frauen fühlte ich mich geborgen.
Ich genoss den Ausblick auf die herrlichen Maisfelder, auf die Dukas am Wegesrand und auf die Frauen, die dicke Kartoffeln, Mangos und Avocados im Überfluss anboten. Die Landschaft wurde immer abwechslungsreicher, je weiter der Bus in Richtung Nakuru fuhr. Wir Samburu-Frauen aus der staubigen Halbwüste staunten über die sattgrünen Felder. Über den dichten Wäldern stiegen Nebelschwaden auf. Glücklich schlummerte ich ein. Als ich wieder aufwachte, säumten dichte Teefelder den Wegesrand. Wie Samtkissen schmiegten sie sich an die Hügel. Es roch nach Regen.
Der Bus der Kampala Coach schlängelte sich durch die Teefelder von Kericho, als der Gestank von verbranntem Gummi immer stärker wurde. Nach vier Stunden war die Fahrt im klapprigen alten Bus erst einmal zu Ende. Wir legten einen Zwischenstopp ein in einer schmierigen Autowerkstatt im heruntergekommenen Straßendorf Kericho, der Hauptstadt des Tees. Schnell nahmen wir Frauen den kleinen Truckerstopp New Masha
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