Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
waren als Zeuginnen geladen, um die Entfremdung zwischen meinem Mann und mir zu beschreiben. Lucy spricht eigentlich nur Samburu. Ihre Suaheli-Kenntnisse sind rudimentär und Englisch versteht sie kaum. Die Fragen des Anwalts waren viel zu kompliziert. Deswegen antwortete sie manchmal unangebracht mit einem »Ja« oder »Nein«, worauf sich der Anwalt lustig über sie machte. Er versuchte ihre Glaubwürdigkeit infrage zu stellen, sie in Widersprüchlichkeiten zu verstricken. Manchmal wirkte sie völlig verloren. Ich hätte ihr das gerne erspart. Doch ihre Aussage war wichtig für mich.
Nanyimoi hatte zwar keine Sprachprobleme, dafür unterstellte der Anwalt ihr, dass sie von mir abhängig sei, da sie früher für mich als Hausmädchen gearbeitet habe. Nanyimoi schilderte detailliert die ständigen Streitereien zwischen meinem
Mann und mir. Sie erinnerte sich an Details, die mir längst entfallen waren. Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, beschrieb sie, wie er mich öfter geschlagen hatte, wenn er betrunken nach Hause gekommen war und das Essen nicht auf dem Tisch stand. Dann war auch dieser Spuk vorbei. Jetzt begann die Zeit des langen Wartens. Ich empfand es als Folter. Selbst Julius konnte mir nicht sagen, wie lange es bis zur Urteilsverkündung dauern würde. Die Ungewissheit machte mich unruhig. Mein Leben lief wieder wie im Leerlauf.
Vor dem Gerichtssaal wartete ein kenianischer Journalist, der seit Tagen versucht hatte, mich zu erreichen. Er hatte den Prozess mitverfolgt und war entsetzt. Das Gericht verfolge die altertümliche Sicht einer Männergesellschaft. Der Journalist aus Nairobi machte eine Sendereihe über außergewöhnliche afrikanische Führungspersönlichkeiten, die in ihren Gemeinden einen Wandel herbeigeführt haben, und wollte mich unbedingt dafür porträtieren. So eine Serie hatte es im kenianischen Fernsehen noch nie gegeben. In Nairobi wäre das anders gelaufen, erklärte er. Da gehöre ein Scheidungsprozess längst zur Tagungsordnung. Hier auf dem Land seien die Gerichte noch sehr konservativ.
Doch ich sollte lernen, dass das nicht nur hier so ist. Selbst in Europa gibt es noch Gegenden, wo die Männer das Sagen haben. Ich war eingeladen, auf einem Menschenrechtsfestival in Neapel zu sprechen.
REBECCA, DIE WELTBÜRGERIN
Endlich saß ich im Flieger nach Italien. Wie klein unser Land aus der Luft wirkte. Kibera, das riesige Elendsviertel, in dem ich monatelang abgetaucht war, türmte sich wie eine braune Müllhalde mitten in Nairobi auf. Die Hütten mit ihren verrosteten Wellblechdächern wirkten von hier oben wie Kartons, die der Wind einfach wegblasen könnte. Auf Stadtkarten war das Armenviertel bislang gar nicht eingezeichnet. Ein weißer Fleck, in dem es keine Müllabfuhr, keinen Strom, kein fließend Wasser gibt – ein offiziell unbebauter Stadtteil, für den sich die Stadtverwaltung nicht verantwortlich fühlt, obwohl sich die Menschen dort stapeln. Auch die vielen Hilfsorganisationen, die sich seit Jahrzehnten in Kibera tummelten, hatten es nicht geschafft, die miserablen Lebensbedingungen zu verbessern. Wir brauchen starke Gemeindepolitiker, die sich den Mund nicht verbieten lassen und die für die Rechte der Armen kämpfen so wie ich für das Wohl der Frauen im Samburu-Distrikt.
Auch ich hatte die Erfahrung gemacht, dass, wenn es dunkel wurde, man sich in dem braunen Schandfleck der Stadt nicht mehr nach draußen trauen konnte. Jugendliche zogen in Banden bewaffnet durch den Slum. Die wenigen Samburus, die ich dort kannte, sind fast alle schon in ihren wackligen Verschlägen überfallen worden. Die Diebe nahmen alles mit: ihre selbst zusammengezimmerten Möbel, die Öllampen und sogar das verbeulte Blechgeschirr. Auch in dem dunklen Apartmentblock,
in dem ich wohnte, war es nicht sicher. Manchmal tauchten Männer mit fingierten Ausweisen auf. Die Samburu-Frau, der das kleine Apartment gehört, hatte mich gewarnt: »Lass keinen herein. Sie geben sich als Polizisten aus, befehlen dir, dich auf den Boden zu legen, und rauben dich aus.« Wenn ich allein war, verbarrikadierte ich mich. In Umoja dagegen konnte ich die Tür fast immer offen stehen lassen und nachts konnte ich unter freiem Himmel schlafen, wenn ich das wollte.
In den letzten Monaten war ich in Kibera oft mit Frauen ins Gespräch gekommen, die an vorbeifahrenden Tankwagen Wasser kauften oder vor den Türen ihrer Hütten saßen und auf ihre Wäsche schauten, wenn sie sie zwischen den Wellblechdächern trockneten.
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