Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
zog, half Julius den Menschen in der Provinz, ihr Recht zu bekommen. »Wir Afrikaner begegnen unseren Politikern und Richtern mit viel zu viel Ehrfurcht«, erklärte uns Julius mit einem breiten Lachen, als er endlich vor uns stand. »Genau das will ich durchbrechen. Ihr dürft euch vom Richter nicht ins Bockshorn jagen lassen«, ermutigte er uns. »Der Richter und der Anwalt deines Mannes werden bestimmt unangenehme Fragen stellen.«
Mit meinem Scheidungsfall schwamm Julius wieder einmal gegen den Strom und legte sich mit der traditionellen Männergesellschaft an. Als Frau ließ man sich hier auf dem Lande nicht scheiden, vor allem nicht als Samburu-Frau. Hier gingen die Uhren anders oder gar nicht. Die Uhr, die in Julius’ Wartezimmer neben dem obligatorischen Präsidentenporträt hing, war stehen geblieben. Doch das störte hier keinen. Wer Julius sprechen wollte, musste lange warten, ob mit oder ohne Termin, und da machte es auch nichts, wenn man auf die stehen gebliebenen Zeiger starrte. Kurz vor zwölf zeigten sie an. Das war sicherlich einer von Julius’ Gags. Die meisten hier waren froh, wenn sie der wortgewaltige Jurist überhaupt vertrat.
Ich fühlte mich bei dem etwas übergewichtigen Anwalt gut aufgehoben. Wenn Julius lachte, bebte sein ganzer Körper. Er freute sich diebisch, wenn er Anekdoten aus Prozessen erzählte, in denen er den kleinen Mann gegenüber einem mächtigen Gegner zu seinem Recht verholfen hatte. In meinem Fall wollte er den Richter davon überzeugen, dass das moderne kenianische Scheidungsgesetz, wonach eine zerrüttete Ehe von einer Frau aufgehoben werden kann, auch in einer Traditionsgemeinschaft relevant sei.
Gemeinsam gingen wir den Übergriff meines Mannes auf unserem Campingplatz noch einmal durch. Lucy konnte sich noch haarklein an jedes Detail an jenem Morgen erinnern, als mein Mann mit dem Gewehr in Umoja aufgetaucht war und mich umbringen wollte. Nanyimoi waren ganze Dialoge zwischen uns noch im Gedächtnis geblieben. Sie hatte unsere Streitereien miterlebt und gesehen, wie er mich in der Öffentlichkeit beschimpft hatte. Das wollte sie vor Gericht schildern. Mein Mann wehrte sich mit allen Mitteln. Eine Scheidung komme für ihn nicht infrage, ließ er mich wissen. Sein offizieller Grund: Als Katholik, der von den Missionaren in Archer’s Post getauft worden war, werde er durch eine Scheidung exkommuniziert.
Als wir an diesem Abend wieder in Umoja in unserem kleinen Restaurant saßen, redete mein Sohn Tom noch lange auf mich ein. Im Licht einer Gaslampe saßen wir in der kühlen Brise an einem Holztisch auf dem Campingplatz am Fluss. Es war fast schon früher Morgen, als Tom aufgab. Immer wieder nahm er einen neuen Anlauf, mich davon zu überzeugen, die Scheidung rückgängig zu machen. Als ältester Sohn und Stammhalter der Familie Lolosoli wollte er nichts unversucht lassen, die Ehre der Familie zu retten. Tom litt unter unserer Trennung. Auch wenn er mich früher bekämpft hatte, jetzt wollte er alles dafür tun, uns wieder zusammenzubringen. Doch ich hielt an meinem Entschluss fest. Es war einfach zu viel passiert. Mein Schmerz saß zu tief. Ich hatte schon lange mit meiner Ehe abgeschlossen und erklärte ihm, dass es Grenzen gebe, die man nie überschreiten dürfe. Dabei schaute ich ihm tief in die Augen. Sein Vater könne sich bestimmt ändern, appellierte Tom. »Es ist zu spät. Ich werde mich nicht nur scheiden lassen. Ich werde mir auch meinen Anteil holen.« Tom war schockiert.
Am nächsten Morgen saß Tom mit gesenktem Kopf über einer Tasse Tee genau auf demselben Platz wie bei unserer nächtlichen Unterhaltung, so als habe er die ganze Nacht dort auf dem Plastikstuhl mit Blick auf den Fluss und den Mond verbracht. Er wirkte niedergeschlagen und müde, wahrscheinlich hatte er die ganze Nacht kein Auge zugetan. Plötzlich wurde mir klar, dass er genau da saß, wo mir sein Vater vor zwei Jahren nach dem Leben getrachtet hatte. Wortlos ging ich an ihm vorbei zum Geländewagen. Er ließ mich sichtlich schweren Herzens ziehen. Ich sah noch, wie seine Freundin Fiona sich zu ihm setzte. Sie würde ihn trösten.
Ich war froh, als wir die beiden hinter uns gelassen hatten. Ich musste jetzt an mich denken und nicht mehr an meine Familie. Sie hatte schon zu lange mein Leben bestimmt. Versonnen betrachtete ich den ausgedörrten Landstrich während der
Fahrt. Am Ortseingang der Kreishauptstadt Isiolo hasteten die letzten Nachzügler in ihren grünen Schuluniformen
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