Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Kreuzverhör fort. »Welches Interesse hat diese Organisation an Ihnen?«, bohrte er weiter. »Wieso hat dieses Netzwerk Sie über Monate in Nairobi versteckt gehalten? Was haben Sie dafür tun müssen?« Ohne die Mithilfe dieser modernen Organisation hätte ich womöglich gar nicht so viel Zeit in Nairobi verbracht, mutmaßte der Anwalt. Mit dieser Unterstellung versuchte er den Verein zum Schutz von Frauen zu verunglimpfen und mir einzureden, dass dieser mich in Wirklichkeit gegen meinen eigenen Mann aufgehetzt habe. Erst jetzt verstand ich, worauf er hinauswollte. Der Anwalt im hellbraunen Samtanzug und glänzend polierten Lederschuhen verunsicherte mich. Seine bohrenden Fragen brachten mich aus dem Konzept. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der kleine blau schimmernde Spatz aufgeregt vor den Oberlichtern hin und her flatterte. Er suchte verzweifelt einen Ausgang. Ich wollte diesem erniedrigenden Gehabe vor Gericht am liebsten ein Ende bereiten.
Als ich schilderte, wie mein Mann mir verboten hatte, meine Kinder zu sehen, versagte mir die Stimme. Ich fing an zu schwitzen. Mir wurde etwas schwindelig. Aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und schaute immer wieder zu den Oberlichtern hoch, um in dem düsteren Raum ein Stück Himmel zu sehen und mitzuverfolgen, ob der Spatz den Ausgang finden würde. Er wollte frei sein – genauso wie ich. Am liebsten hätte ich die Fenster aufgerissen, um ihm die Freiheit
zu schenken. Doch ich musste mich konzentrieren und genau hinhören, um wieder Herr der Lage zu werden. Der Vogel war mittlerweile völlig außer Puste und setzte sich auf einen Fensterrahmen, um Luft zu schnappen, bevor er weitere Runden auf der Suche nach einem Schlupfloch flog.
Zynisch hakte der Anwalt immer wieder nach. Dabei lehnte er sich auf den Zeugenstand und starrte mir minutenlang in die Augen. Anfangs wich ich seinem Blick aus. Er lehnte sich bei der Befragung so weit zu mir hinüber, dass ich seinen schlechten Atem riechen konnte. Der Platz einer Frau sei an der Seite ihres Ehemanns. »Oder etwa nicht?«, fragte der korpulente Mann und drehte sich mit großer Geste zum Saal, als wollte er eine Rede vor großem Publikum halten. Für ihn stand fest, dass mein Mann versucht hatte, mich mit allen Mitteln, selbst mithilfe eines Gewehrs, zur Familie zurückzuholen. Da habe er vielleicht etwas übertrieben. Das müsse man ihm aber als verständnisvolle Ehefrau verzeihen, erklärte er jetzt dem jungen Richter.
Der Anwalt schritt mit verschränkten Armen noch einmal gewichtig durch den Gerichtssaal und referierte aus den Akten: Im Jahr 1994 hätte ich schließlich das gemeinsame Schlafzimmer verlassen und sei erst in das Kinderzimmer unserer jüngsten Tochter und dann in ein Frauendorf gezogen. Also trage ich eine Mitschuld.
Über uns spähte der kleine Spatz mittlerweile sehnsuchtsvoll durch die trüben Oberlichter, während ihn draußen die anderen Spatzen mit ihrem Gezwitscher lockten. Er hatte es immer noch nicht geschafft. Ich wäre jetzt auch lieber da draußen gewesen. Ich solle mich nicht so anstellen, fuhr der Anwalt meines Mannes fort. Es sei normal, dass man in einer Ehe streite. Seine Anspielungen machten mich wütend. Langsam gewann ich wieder Boden unter den Füßen. Julius hatte mich gewarnt. »Er ist ein rhetorisch geschulter Jurist. Er wird versuchen, dich aus der Fassung zu bringen. Er wird dich unterbrechen und
dein Selbstbewusstsein damit untergraben.« Julius hatte recht. Ich schaute hoch zu dem kleinen Spatzen. Er hatte sich mittlerweile auf einem Fensterrahmen niedergelassen und blickte neugierig zu uns herunter.
Ich gab mir einen Ruck, schaute dem Anwalt fest in die Augen und antwortete – ich hatte beschlossen, mich auf keinen Fall mehr von ihm unterbrechen zu lassen. »Ich weiß nicht, wie Sie sich fühlen würden, wenn Sie jemand vor Ihren eigenen Kindern erniedrigt. Mein Mann hat mich zudem geschlagen und mit einem Gewehr gedroht, mich umzubringen. Damit ist doch wohl die Basis für eine Ehe unwiderruflich zerstört! Das können doch wohl auch Sie verstehen?«, hakte ich noch einmal nach.
Als ich wieder hochschaute, schlüpfte der glänzende Vogel gerade durch einen Fensterspalt. Er hatte den Ausgang gefunden. Ich war erleichtert. Der Anwalt meines Mannes ließ plötzlich von mir ab, als habe er die Lust an diesem Verhör verloren, jetzt, wo ich mich gefangen hatte.
Später knöpfte er sich meine beiden Freundinnen Nanyimoi und Lucy auf ähnliche Weise vor. Sie
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