Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Frauen im Umkreis wissen nun auch, dass ich wieder in Umoja bin. Mittlerweile haben sich uns Frauen in sechzig Dörfern im gesamten Greater Samburu Distrikt angeschlossen. Wir, die Umoja-Frauen, sind so etwas wie ein Dachverband geworden. Sie eifern uns nach, versuchen dort in ihren eigenen Dörfern Aufklärungsarbeit zu leisten, und kommen, so oft sie können, zu unseren Workshops. Mir ist es wichtig, dass wir die Aufklärungsarbeit auf viele Schultern verteilen. Ich will andere Frauen ermuntern, in ihren Dörfern Verantwortung zu übernehmen. In den Workshops müssen wir den Führungsstil unserer Frauen entwickeln. Sie aufbauen. Die Frauen, die wir ansprechen, sind begeistert und versprechen Plakate zu malen und andere zu mobilisieren.
Auch meine Tochter Sylvia sagt mir ihre Unterstützung zu. Sie ist aus Nairobi gekommen und will die nächsten Tage bei mir in Umoja bleiben. Wie ich liebt sie die frische Luft hier draußen und das Gemecker der Ziegen. Anders als meine anderen Kinder geht sie völlig natürlich mit der Scheidung um. Sie verbringt ihre Ferien in Archer’s Post und pendelt entspannt zwischen unserem Frauendorf und ihrem Elternhaus hin und her, so wie ich das mit ihr schon als Kind gemacht habe. Sie ist in beiden Welten aufgewachsen.
Lauter Gesang hallt vom Schulgebäude zu uns herüber, als Sylvia und ich uns im Schatten der alten Akazie bei den Frauen niederlassen. »Head, shoulder, knees and toes, knees and toes, knees and toes«, singen die Kinder, begierig Englisch zu lernen. Sie machen große Fortschritte. Francis Lekanta, der Sohn meiner Schwester und Sylvias Cousin, hilft gerade an der Schule aus. Vor Jahren haben Sylvia und er ihre Schulausbildung hier in Umoja begonnen. Jetzt hat Francis einen Platz an einem College in den USA bekommen. Ein amerikanischer Tourist, der auf dem Campingplatz seinen Urlaub verbracht hat, hat die Schulausbildung des Jungen finanziert und will ihn nun nach Amerika holen. Francis spricht mittlerweile drei
Sprachen. Wenn ich ihn anschaue, muss ich schmunzeln. Ich habe ihn seinerzeit nach Archer’s Post geholt, um auf meine Ziegen aufzupassen. Es gab keinen Besseren als Francis. Heute spricht er besser Englisch als ich und ist ein selbstbewusster junger Mann. Vom Ziegenhirten zum Ingenieur – offensichtlich ist das möglich.
»Ich will Anwältin werden«, eröffnet mir Sylvia und schaut mich erwartungsvoll an. »Dann kann ich mich noch viel besser für die Rechte der Frauen einsetzen.« Ich bin überwältigt. Und ans Heiraten denkt sie auch noch nicht. »Was soll ich mit einem Samburu-Mann?«, fragt sie scherzend. »Die meisten Samburus arbeiten in Nairobi als Askari, als Wächter vor den Häusern der Weißen. Das ist nicht gerade sehr vielversprechend. Da gehe ich doch lieber meinen eigenen Weg.« Ich bin beeindruckt. Meine Tochter hat viel klarere Vorstellungen von ihrem Leben als ich in dem Alter.
Eine kleine Gruppe amerikanischer Touristen ist mit einem Geländewagen vorgefahren. Geduldig zeige ich der Familie unser Dorf. Nach all der Zeit genieße ich den kurzen Rundgang mit ihnen. Unser Museum ist etwas verstaubt. Dennoch staunen sie über die prachtvollen Schmuckstücke und die Kalebassen, die wir dort ausgestellt haben. »Unsere Kultur ist im Umbruch«, erkläre ich. »Wir leben hier nicht im Museum. Die Zeiten des echten Nomadentums sind vorüber, denn heute zieht nur noch das Vieh von einem Ort zum nächsten, nicht mehr das Dorf und die Menschen. Nur noch wenige von uns führen ein traditionelles Nomadenleben, aber wir versuchen, das Gute dieser Kultur zu bewahren. Sie sehen hier ein Dorf im Wandel«, fahre ich fort.
An der Wand unseres kleinen Museums hängen internationale Zeitungsartikel, darunter ein Artikel der Washington Post : »Ein Ort, wo Frauen herrschen« beschreibt unseren Kampf um unser Frauendorf. »Wie habt ihr euch in dieser Männergesellschaft durchgesetzt?«, will die junge Frau wissen. »Indem
wir aufgehört haben, uns als Opfer zu fühlen«, erkläre ich ihr. »Irgendwann haben wir entschieden, dass wir uns die Gewalt nicht mehr bieten lassen, und hart für dieses Dorf gearbeitet. Und bis heute haben wir den Glauben an uns, trotz aller Rückschläge, nicht mehr verloren.« Staunend schaut mich die junge Frau an. Gleich heute werden wir auch die Artikel über meine Auszeichnung für Global Leadership, für meinen außergewöhnlichen Führungsstil, anbringen.
Während ihre Eltern zum Auto zurückkehren, löst sich die junge
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