Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
meiner Hütte. Ich wusste nicht, wie lange es her war, dass ich draußen im Freien gelegen und die Milchstraße, die wie ein Leuchtband am sternenklaren Himmel über mir wirkte, betrachtet hatte. Es war ein herrliches Gefühl, Teil dieser gewaltigen Szenerie zu sein, die der Mond hell ausleuchtete. In der Ferne machte ich ein paar heulende Hunde und die Glocken der Ziegen aus. Das Grummeln ihrer wiederkäuenden Mägen und ihrer mahlenden Kiefer lullte mich irgendwann dann doch in den Schlaf. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, brauchte ich einige Zeit, bis ich wieder wusste, wo ich überhaupt war.
Kurze Zeit später saß ich neben Julius auf den unbequemen Steinbänken im Gerichtssaal von Isiolo. Wie bei dem ersten Termin ging plötzlich ein Ruck durch den Saal. Wir erhoben uns und richteten unsere Blicke voller Ehrfurcht auf den jungen Richter, der schwungvoll seinen Aktenberg auf den Tisch schleuderte. Bevor ich mich versehen konnte, hat er Lolosoli gegen Lolosoli aufgerufen. Etwas gehetzt erinnerte er noch einmal mit monotoner Stimme an die Stationen der Entfremdung und kam dann zum Urteil: die Ehe sei zerrüttet. Die Scheidung rechtskräftig. Es ging so schnell, dass ich erst gar nicht begriff, dass ich nun geschieden war. Das war alles?, fragte ich mich. Keine weiteren Belehrungen? Ich konnte es kaum fassen – und hätte vor Glück platzen können. In dem Moment sah ich, wie der kleine Spatz von der Gerichtsverhandlung in den Saal geflogen kam, geschickt eine Runde drehte und dann wieder durch einen Spalt nach draußen schlüpfte. Er war frei, so wie ich jetzt.
MAMA REBECCA GEHT IN DIE POLITIK
Wir sind in der Jetztzeit angekommen. Ich habe alles Alte hinter mir gelassen und nun richtet sich endgültig all mein Handeln auf die Zukunft aus.
Ich bin erleichtert, als Nagusi und ich durch unseren Dornenwall ins Dorf einbiegen. Vor meiner Manyatta steht eine Traube von Frauen. Sie alle begutachten mein Dach, auf dem Lucy und die beiden anderen jungen Mädchen Judy und Gladys dreckverschmiert stehen. Als sie mich erblicken, lachen sie laut los. »Eigentlich sollte es eine Überraschung sein«, ruft mir Lucy grinsend zu. »Du bist zu früh gekommen. Wir sind noch nicht fertig.« Die Frauen kommen mir grölend entgegen und fallen mir um den Hals, während Lucy vor einem Wassereimer kniet, Lehm, Sand, Stroh und Kuhdung mit einem Stock zu einer Mischung vermengt, die weder zu körnig noch zu lehmhaltig sein darf. Schicht für Schicht streicht sie diese auf das Dach meiner Manyatta. »Das war längst überfällig«, fügt sie hinzu und führt die beiden jungen Mädchen in die hohe Kunst des Manyattabaus ein.
Eigentlich muss man die Dächer unserer Hütten immer wieder ausbessern. Da ich aber fast zwei Jahre in Nairobi gelebt habe, ist an meiner Hütte nichts mehr getan worden. »Du darfst nie wieder so lange wegbleiben«, erklärt Lucy lächelnd und springt mit diesen Worten wie eine Gazelle vom Dach und umarmt mich. »Endlich bist du wieder hier«, johlen die
Frauen. Ich hoffe, dass mein Vagabundenleben in Nairobi ein Ende gefunden hat. Da ich nun geschieden bin, kann mir mein Mann eigentlich nicht mehr viel anhaben. Die Landfrage wird geklärt werden, auch wenn dieser Prozess noch Monate dauern kann. Alles nimmt langsam neue Formen an.
Gladys und Judy kneten kichernd mit dem Stock weiter, während ihnen die erfahrenen Frauen immer wieder zur Hand gehen. Die Sonne sinkt als glühend roter Ball am Horizont ins Gebirgsmassiv, als sie die letzten Risse im Dach meiner Manyatta ausbessern. Zufrieden taste ich das frisch verputzte Dach ab. Über Nacht wird der neue Kuhdung einziehen und morgen wird alles wieder kräftig braun sein. In der Ferne zeichnet sich der Ol Doinyo Lengeyo ab, auf dem früher immer mein Vater gebetet hat. Ich bin froh, wieder hier zu sein und den Blick über die endlose Graslandschaft schweifen lassen zu können. Alles ist an seinem Platz. Hier weiß ich, wofür ich kämpfe.
Die Frauen haben schon ein Feuer angezündet, auf dem wir zu Feier des Tages eine Ziege grillen wollen. Unser Bestand ist merklich geschrumpft. Es wird Zeit, dass ich mich jetzt wieder um die Tiere kümmere und eine neue Herde aufbaue. Die Ziegen werden unsere eigene Umoja-Markierung tragen. Das rechte Ohr wird eingeritzt, das linke Ohrläppchen leicht verkürzt. Das habe ich mir überlegt, wenn mich das Heimweh zu arg packte. Ich werde ein paar Jungtiere in Isiolo auf dem Markt kaufen und sie in die Obhut unserer kleinen
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