Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Amerikanerin von ihnen, unter dem Vorwand, mir Medizin bringen zu wollen, und betritt meine Manyatta. »Ich spüre, dass Sie eine ganz besonders starke Frau sind«, wendet sie sich an mich. – »Ich will Ihnen etwas anvertrauen. Ich bin vergewaltigt worden.« Dabei laufen ihr Tränen über die Wangen. »Ich habe bisher mit niemandem darüber geredet. Es ist mein Geheimnis. Aber ich glaube, dass es bei Ihnen gut aufgehoben ist.« Wie in einer Beichte gesteht mir die junge Frau das schreckliche Verbrechen, das gegen sie verübt wurde. Es war ihr augenscheinlich ein Bedürfnis, mir diese fürchterliche Wahrheit anzuvertrauen. Ganz ähnlich wie die Samburu-Frauen, wie die Kongolesinnen in Bukavu fühlt auch diese junge Amerikanerin Scham und traut sich nicht, darüber zu reden, aus Angst, stigmatisiert zu werden. Ich umarme sie und wünsche ihr alles Gute. »Es wird leichter, wenn man darüber spricht«, sage ich ihr. »Du brauchst dich dessen nicht zu schämen. Die Zeit wird deine Wunden heilen.« Ich schenke ihr ein kleines Samburu-Armband zum Abschied. »Möge Ngai dich schützen.« Glücklich winkt sie mir noch einmal zu und läuft zum Auto.
Ich möchte die Zeit am liebsten anhalten, so sehr genieße ich meine Rückkehr und die Vorfreude auf den ersten politischen Marsch in Archer’s Post. Ich kann es kaum erwarten und hoffe, bald die Zusage vom Ältestenrat zu bekommen. Fast jeden Abend gehe ich zum Ufer des Uwaso und kann mich gar
nicht sattsehen an dem wunderschönen Panoramablick, für den Touristen viel Geld bezahlen.
Eines Abends kommt mir in der sanften Abendsonne ein Mann mit großen Schritten entgegen, während ich genüsslich auf einem Baumstamm sitze. Sein Gang kommt mir irgendwie bekannt vor. Doch die Sonne blendet mich und ich sehe nur seine Silhouette. Erst als er fast vor mir steht, erkenne ich ihn. Peter Paul Bagate, ein mächtiger Turkana, lächelt mich an. Auf seinem Rücken trägt der kräftige Mann Feuerholz, das er von Dorf zu Dorf transportiert. »Ich bin vorbeigekommen, um zu sehen, wie es dir geht, Rebbeca«, erklärt er mit seiner Reibeisenstimme und einem breiten Lachen. »Ich sehe, du genießt die Abendsonne.« Mit diesen Worten legt er sein Brennholz ab und setzt sich zu mir. »Nach all dem, was passiert ist, bin ich froh, dich wohlbehalten hier zu sehen.« Paul hat gehört, dass ich wieder in Umoja bin, und will sich selbst davon überzeugen, dass es mir gut geht. Wir kennen einander, seit ich klein bin. In dem Jahr, in dem ich geboren wurde, hatte mein Vater Peters Familie unter die Arme gegriffen. Ständig waren sie am Lake Turkana überfallen worden und nachdem ihnen ihr gesamtes Vieh gestohlen worden war, hatten sie sich auf den Weg in den Süden gemacht, ohne hier jemanden zu kennen. Als Chief nahm mein Vater sie auf, gab ihnen in Wamba etwas Land und drei Kühe als Starthilfe.
Mitte der Neunzigerjahre war Paul dann mit seiner Familie von Wamba nach Archer’s Post übergesiedelt, als er hörte, dass ich hier ein Frauendorf gegründet hatte. Seitdem verkauft er in der Umgebung von Archer’s Post Feuerholz und schlägt sich damit durch. Auch er wird mir beim Wahlkampf helfen. »Ich werde allen erzählen, was du für die Frauen getan hast und tust, sie müssen dich wählen«, prophezeit er glucksend. »Dein Vater war ein großer Mann«, erklärt er voller Bewunderung. »Er wäre bestimmt stolz auf dich. Du siehst ihm sehr ähnlich.« Ohne ihn hätten Paul und seine Familie nie unter den Samburus
Fuß fassen können. »Wir haben in Umoja auch einer Reihe von Turkana-Frauen Unterschlupf gewährt. Im Augenblick wohnt eine Frau aus der Turkana-Region mit ihrem Baby bei uns«, erzähle ich ihm. Sie ist geflohen, weil es rund um den Turkana-See immer wieder zu Handgreiflichkeiten und bewaffneten Übergriffen zwischen verfeindeten Hirten kommt. In einer Nacht ist die ganze Herde ihres Dorfes geklaut worden. Paul verspricht, demnächst mit der Frau zu sprechen, denn wir verstehen nicht genau, was sie sagt. Doch wir wollen mit ihr über das, was sie erlebt hat, reden.
»Schau dir die Hirten an«, fährt er fort. »Die sind vielleicht auch bewaffnet.« Paul zeigt auf ein paar Samburu-Hirten, die unweit von uns in ihren rot karierten Tüchern im kühlen Abendwind unter den Akazien am Fluss stehen. Mit gekreuzten Beinen stützen sie sich auf ihre Hirtenstäbe und beobachten ihr Vieh. Sie haben ihre Herde durch unser Land zum Wasser getrieben, damit die Tiere trinken können. Sie strömen
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