Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
glänzend braun schimmerte, war schon mit einem matten Grauschleier überzogen. Aber wir fanden, die Schokostückchen schmeckten trotzdem gut. Vor allem mit den Gänseblümchen.
Was wir in unserem kleinen Gourmettempel in rauen Mengen zur Verfügung hatten, waren Ketchup und Senf in Portionspackungen. Das ganze Zeug hatten wir in der Garage meines Vaters gefunden, weil es vom letzten Dorffest übrig geblieben war, und ohne jemanden zu fragen (ich glaube, in dem Moment war gerade auch keiner da) hatten wir die Sachen bei uns gebunkert. Mit dem Senf gingen wir etwas sparsamer um, aber der Ketchup (im chauvinistischen Bayern ist der Ketchup männlich) wurde von uns zu fast allem kombiniert: Es gab Obstsalat aus unreifen Pflaumen, Miniweintrauben und pelzigen Stachelbeeren mit Ketchup, es gab Butterbrot mit Ketchup, es gab in kleine Scheiben geschnittene Wiener Würschtl mit Ketchup, Leberkäs mit Ketchup, Bananen mit Ketchup. Das Einzige, von dem wir schnell Abstand nahmen, war die Kombination Obstkuchen mit Ketchup. Da schwenkten wir bereits nach dem Versuch wieder zu unserer ewigen Lieblingsvariante mit Schlagrahm um. Überhaupt war Schlagrahm ein wesentlicher Bestandteil unserer Ernährung und ist für mich bis heute neben Butter unverzichtbar. Ab und an baten wir unsere Mama, uns doch bitte einen Becher Schlagsahne zu schlagen, die wir dann mit Kabapulver vermengten und bis zum letzten köstlich-cremigen Klacks verputzten. Und wenn wir doch einmal ein etwas flaues Gefühl im Magen hatten, weil die Äpfel oder Birnen noch arg grün und unreif waren oder weil die Kombination Ketchup mit einem Klacks Senf zu Löwenzahn auf alter Semmel (die wir aus dem Kübel, der für die Ponys bestimmt war, gefischt hatten) doch nicht so das Gelbe vom Ei war, dann halfen immer zwei Dinge: eine Flasche Spezi und ein Steckerleis (Eis am Stiel). Spezi gab es bei uns daheim so gut wie nie, da mein Vater der Ansicht war, dass wir Kinder von Spezi und auch von gelber Limo mehr trinken würden, als gut für uns sei, aus diesem Grund gab es immer nur weiße Limo (Zitronenlimo), die wir natürlich nicht so gern mochten. Aber ein Steckerleis war die Mindesttagesration, die wir von circa Mai bis September täglich vertilgten, denn wir Kinder waren der Ansicht: »An icecream a day keeps the doctor away.«
Ernährungsexperten würden angesichts unserer Essgewohnheiten heute die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, und die Kinder heutzutage würden wahrscheinlich von dem Essen, das wir in sämtlichen Aggregatszuständen in uns reinschaufelten, tagelangen Dauerdurchpfiff und schwerwiegende seelische Traumata bekommen, aber wir waren gesund, munter, komplett allergiefrei und nie krank. Außer wenn wir im Oktober heimlich noch barfuß liefen oder den ganzen Tag in durchnässten Klamotten spielten, weil wir nach einem Regenschauer absolut keine Zeit hatten, uns umzuziehen.
Mein Bruder Sepp wurde einmal krank, weil er beim alljährlichen Dorffest, das früher immer bei uns auf dem Hof stattfand, meinen Gelati-Rekord, der bei dreizehn Steckerleis stand, brechen wollte, aber leider bei Nummer elf mit Durchfall und Übelkeit die Segel streichen musste. Er wurde daraufhin von meiner Mutter am helllichten Tag mit einer Wärmflasche ins Bett gesteckt, und mein Eiskonsum wurde von Mama auch für diesen Tag für beendet erklärt, aber erst nachdem sie der Stimmer Gertraud, einem älteren Nachbarsmädel, das auf dem Dorffest für den Eisverkauf zuständig war, eingebläut hatte, sie möge doch in Zukunft den Eisverzehr der Gruber’schen Brut bei der homöopathischen Dosis von fünf bis sechs Stück einbremsen.
Da ja nur einmal im Jahr Dorffest war, holten wir unser Eis in seltenen Fällen bei der Kramerin in Grucking, meistens aber bei unserem Dorfwirt.
Fast täglich fuhr ich mit meiner besten Freundin Claudia, die auch gleichzeitig meine Cousine war, mit dem Fahrrad zum Wirt. Claudia war ein Jahr älter als ich und lebte zusammen mit ihren Eltern (Onkel Miche und Tante Jule) und ihren beiden älteren Brüdern, Sepp und Mike, ebenfalls auf einem Hof in Tittenkofen. Sie war und ist einer der gutmütigsten Menschen, die ich kenne, und es war fast ein Ding der Unmöglichkeit, mit ihr zu streiten. Richtig wütend konnte sie nur werden, wenn ihr ihr älterer Bruder Mike wieder einmal beweisen wollte, dass man dem Nesthäkchen der Familie noch lang nicht alles durchgehen lassen musste, was ihm zwar eine Standpauke seiner Eltern à la »Der Älteste gibt
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