Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Verlobter und fertiggestellter Braut. Nach circa zwei Stunden – wir Freundinnen waren längst daheim – wurde die Braut unter weiterem guten Zureden (»Wennst heut was gfragt wirst, einfach immer Ja sagen, gell, haha!«) seitens der Salonmitarbeiter von ihren Anverwandten wieder ins elterliche Heim gekarrt, wo mit dem Anlegen der Brautkluft begonnen wurde.
Ich probierte derweil daheim aus, welcher BH die spärliche Füllung unter meinem in Italien erstandenen, rosafarbenen Spaghettiträgerkleid am wenigsten armselig aussehen lassen würde. Außerdem hatte ich natürlich beim Kauf des Kleides vergessen, dass es um zehn Uhr morgens in einer oberbayerischen Kirche auch im Juni nicht schon 25 Grad haben würde wie am Gardasee. Deshalb brauchte ich irgendetwas, um meine Schultern zu bedecken, aber die einzige Strickjacke, die ich besaß, hatte ein alpenländisches Zopfmuster, und ich sah in meinem zarten italienischen Kleid, auf das ich so stolz war, mit dieser Strickjacke darüber aus, als ob der liebe Gott Aschenputtel mit Heidi gekreuzt hätte. Als dann noch meine Mutter vorschlug, ich solle doch einfach einen Janker drüberziehen, war ich schon fast den Tränen nahe und beschloss, in der Kirche zu frieren.
Während ich mir also schwor, meine erste italienische Liebschaft auf gar keinen Fall von einem groben Lodenjanker ruinieren zu lassen, waren viele fleißige Hände am Objekt Braut damit beschäftigt, um Rüschen, Biesen, Organza, Spitzen, Tüllbahnen in die dafür vorgesehene Position zu bringen. Sobald der Feinschliff mit Täschchen, Jäckchen, Brautsträußchen, Schühchen und den Kronjuwelen beendet worden war, wurde die bis dahin schon leicht schwankende Braut (noch ein Prosecco während des Ankleidens, aber immer noch kein Frühstück) zum Fotografen chauffiert, wo sie ihr künftiger Gatte bereits vor der Trauung in vollem Ornat zu Gesicht bekam. Romantischer wäre es natürlich gewesen, wenn er sie zum ersten Mal durchs Kirchenschiff am Arm ihres Vaters entlangschreitend gesehen hätte, aber das zeitliche Korsett dieses Tages war wirklich äußerst eng geschnürt, und für oberflächlichen Firlefanz ist bei einer bayerischen Hochzeit einfach keine Zeit. Es muss ja auch weitergehen.
Also, Foto-Shooting: mit und ohne Brautauto, mit und ohne Trauzeugen, mit und ohne Tauben, Strumpfband oder Schleier, im Atelier, im Park, unter der Birke (keine Trauerweiden wegen schlechten Omens!), am Flüsschen, am See und neben einem Springbrunnen. Der Fotograf wurde von einem Cousin des Brautpaares unterstützt, der den ganzen Tag (und ich wiederhole: den ganzen Tag) mit der Videokamera filmte, um so die Millisekunden einzufangen, die dem Fotografen im Zweifelsfall entgangen waren. Denn so ein Eheleben beinhaltet ja auch immer viele lange Winterabende, und da ist es doch gut, wenn man nicht ausschließlich auf das Fernsehangebot angewiesen ist, denn man hat ja was Eigenes: das Hochzeitsvideo eben.
Das ist übrigens inzwischen nicht nur bei bayerischen, sondern bei allen Hochzeiten so, es handelt sich hierbei um ein gesamtdeutsches Phänomen, denn die eheliche Langeweile stellt sich quasi überregional irgendwann ein. Außerdem will man sich ja später noch einmal davon überzeugen, ob damals das »Ja, ich will« des Partners laut und überzeugt kam oder ob es mehr so ein zögerliches »Ähhhmm, ich glaub’ schon« war.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle die kleine Anekdote meines guten Freundes Karl nicht vorenthalten, der als Standesbeamter in München-Pasing arbeitet und der einmal bei einer Trauung erlebt hat, dass der Bräutigam bei der Frage »Wollen Sie die hier Anwesende zu Ihrer rechtmäßig angetrauten Ehefrau nehmen?« seiner Zukünftigen einen kräftigen Klaps auf deren Hinterteil gab und freudig in die Runde rief: »Freilich, die nimm i – geprüfte Qualität, haha!« Manchmal muss man die feierliche Stimmung eben ein wenig auflockern, damit einen die Rührung nicht zu sehr übermannt.
Zurück zu unserer Hochzeit. Die Zeremonie in der Kirche war wie immer: feierlich, es wurde an den richtigen Stellen geschluchzt, die Ministranten langweilten sich, und die älteren Verwandten, die kurz davor waren einzunicken, wurden durch das Gerumpel und Geschepper einer Hobbyband, die den Song »Oh Happy Day« vergewaltigte, hochgeschreckt. Spätestens beim Schlusslied, als eine selbst ernannte Sängerin a cappella »I Will Always Love You« von Whitney Houston von der Empore plärrte, war jede Rührung verflogen und
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