Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
den Wert einer schönen Rindssuppn für die körperliche und auch für die seelische Konstitution zu schätzen. Oder wie meine Freundin Gaby immer zu sagen pflegte: »Egal, was d’ hast: a so a Suppn, die richt dich wieder zamm!«
Für die anderen Gäste gilt hierbei: Sobald die Braut den ersten Schöpfer Suppe im Teller hat, versucht man, sich den Braut- beziehungsweise den Kranzljungfraustrauß zu schnappen. Das bedeutet nämlich, dass der komplette Tisch, an dem man platziert ist, während der gesamten »Weinstubn« vom Bräutigam oder von Brautvater (oder demjenigen, der eben den ganzen Spaß bezahlt) zechfrei gehalten wird. Die Sträuße sind deshalb heiß begehrt, und man muss aufpassen wie ein Haftlmacher, dass man zum Zeitpunkt des Suppenservierens in der Pole Position ist. Ein Mädel aus unserer Tennismannschaft schaffte es tatsächlich, den Strauß zu ergattern, was bedeutete, dass ich definitiv zu Fuß nach Hause gehen würde.
Die Zeit zwischen Mittagessen und Weinstubn war – wie immer – der fadeste Teil des Tages auf einer Hochzeit: Es gab diverse Ansprachen von Verwandten und Freunden des Brautpaares, von deren Existenz man noch nie etwas gehört beziehungsweise deren Existenz man aus verschiedensten Gründen verdrängt hat. Darüber hinaus waren an unserem Tisch die Arbeitskollegen der Braut platziert, die bei einer Bank beschäftigt war. Leider. Denn Banker, vor allem männliche, reden in der Regel wahnsinnig gern über Geld, das sie aber – wie sich im Laufe des Tages herausstellen sollte – selber nicht gern ausgeben. Ich saß neben einem gewissen Günter, der nicht nur sagenhaft geizig zu sein schien, sondern auch unfassbar flirtwillig. Er rückte eine Spur zu nah an mich ran und faselte irgendwas von einem BMW Cabrio und einer Spritztour an den Tegernsee. Und dass ich gut riechen würde. Gegen die Kombination aus Cabrio, Tegernsee und Komplimente ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden, aber ich bezweifle, dass seine Verlobte unsere innige Unterhaltung so lustig gefunden haben wird. Denn – wie mir meine Freundin Gisela auf dem Klo erklärte – diese saß die ganze Zeit am gleichen Tisch gegenüber, denn sie arbeitete bei derselben Bank. Ich war so perplex, dass ich mit Gisela erst einmal am Tresen zwei Ramazzotti kippte und beschloss, nicht mehr an den Tisch zurückzukehren, denn Günter hin, Verlobte her: Ein Tanz wäre zwischendurch schon ganz nett, damit man sich nicht nur stundenlang den Hintern platthockt. Aber eines muss man auf Hochzeiten einfach wissen: Ist ein Mann mit seiner Frau oder Lebensgefährtin da, darf er nicht mehr mit einer anderen tanzen.
Früher durften selbst verheiratete Männer noch mit anderen Frauen im Saal tanzen, was heutzutage allerdings von den mitgeführten Ehegattinnen nicht mehr gern gesehen ist, es sei denn, es handelt sich bei der zu betanzenden Dame um die eigene Mutter, die Schwiegermutter oder die Erbtante. Wahrscheinlich glauben die Ehegattinnen, dass die Männer, wenn sie mit einer hausfremden Dame tanzen, noch in ein und derselben Nacht mit dieser nach Arizona durchbrennen und dort eine Motorradkneipe namens Burning Thunder eröffnen oder dass ihre »besseren Hälften« bei der bloßen Berührung des exotischen Produkts zu Staub zerfallen. Jedenfalls wird eine Singlefrau heutzutage nur von den eigenen Brüdern oder dem eigenen Vater zum Tanzen geholt. Wenn sie Glück hat.
Wenn sie Pech hat, dann ist sie als Alleinstehende plötzlich mit einem Faktotum konfrontiert, das es in fast jeder Gemeinde gibt: dem »Dapper« (das kommt von »dappen«, was so viel bedeutet wie grabschen). Beim Dapper handelt es sich um einen älteren Herrn zwischen Mitte sechzig und achtzig, meist Junggeselle, der es irgendwie immer schafft, bei allen Hochzeiten in der näheren Umgebung aufzutauchen, um dann bei der ersten Gelegenheit alles, was weiblich und noch gut zu Fuß ist, zum Tanzen aufzufordern und während des Tanzens die jeweilige Figur des Opfers manuell aufs Genaueste zu inspizieren.
Es gab lange Jahre einen ganz bestimmten Herrn, bei dessen Anblick allein alle Damen im Saal Reißaus nahmen oder sich eine passende Ausrede zurechtlegten (Schwangerschaft, Trunkenheit, plötzlich einsetzende Demenz, eine schwere Kriegsverletzung), nur um nicht auf der Tanzfläche seine persönliche Vorsorgeuntersuchung über sich ergehen lassen zu müssen. Und wenn Sie sich jetzt fragen, wie dieser Mensch sich immer Zutritt zu diversen Feiern verschaffen konnte: Das liegt
Weitere Kostenlose Bücher