Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
kirchliche Trauung an einem Tag hintereinander abgehalten werden und die anschließende Hochzeitsfeier kein kleines intimes Fest im engsten Familien- und Freundeskreis ist, sondern dass nicht selten bis zu dreihundert Personen durch einen straffen Ablaufplan, bestehend aus traditionellen Bräuchen und Riten, aber gewachsenen Gepflogenheiten sowie befremdlichem Nonsens, geschleust werden müssen. Und da ein sogenannter Wedding Planner lediglich bei Trauungen von Hollywoodstars, schwerreichen Fußballern und prominenten Damen wie Moderatorinnen, Schmuckdesignerinnen oder Schauspielerinnen zum Einsatz kommt, bleibt die gesamte Planung des (in Bauernkreisen meist einmaligen) Ereignisses am Brautpaar hängen: Ist die Großtante Inge väterlicherseits eingeschnappt, wenn sie nicht eingeladen wird, obwohl sie nur weitschichtig verwandt ist? Wenn man den Onkel Erich neben den Pfarrer setzt, wird er dann dreckige Witze erzählen? Wenn ja, ist es nicht einfach wurscht, weil der Pfarrer Inder ist und eh nicht weiß, was »Schnackseln« bedeutet? Wäre es nicht doch billiger, die Anstecksträußchen aus Bux selber zu machen? Und das Kuchenbüfett? Kann man auf die Hochzeitseinladung schreiben, dass die Leute ihre Kinder daheim lassen sollen, weil sonst der Platz nicht reicht? Sektempfang vor oder nach dem offiziellen Gruppenfoto (nicht dass es noch jemanden angedudelt vom Fotografengerüst haut)? Traditionelle Hochzeitssuppe als Vorspeise, oder weiß der Großteil der Gäste inzwischen, was Antipasti sind? Hochzeitstorte als klassisches Erdbeerkuchenherz oder doch vierstöckig mit Miniaturbrautpaar aus Marzipan obendrauf? Darf der Hochzeitslader auch etwas schlüpfrige Witze erzählen, oder lacht da nur Onkel Erich? Sollen die Bedienungen in der »Weinstube« auch Schnäpse servieren, oder sind dann schon vor dem Abendessen alle blau? Reicht es, wenn die Band nur Chartsongs spielt und keinen Walzer, oder sind die älteren Verwandten dann sauer und stecken weniger Geld ins Kuvert (Großtante Inge!)? Mitternachtsgulaschsuppe oder Käsebüfett, oder langt nix auch? Was tun, wenn man beim Heimkommen feststellt, dass Freunde des Brautpaares das Bett zerlegt oder das komplette neu gebaute Eigenheim mit Stroh dekoriert oder den Hauseingang zugemauert haben?
Ich möchte hierbei anmerken, dass sich alle aufgezählten Situationen im Bekanntenkreis wirklich ereignet haben. Deshalb denke ich, dass jeder Wedding Planner mit einer klassischen Bauernhochzeit wahrscheinlich überfordert wäre. Geeigneter wäre vermutlich ein Experte in strategischer Kriegsführung, der ein abgeschlossenes Psychologiestudium und Erfahrungen in der Krisenintervention aufzuweisen hat. Oder der Butler der Queen von England, aber Lisbeth würde ihm wohl kaum für eine Hochzeit in Grucking freigeben.
Andererseits: Nachdem davon auszugehen ist, dass das Brautpaar so wie ich bereits Dutzende Hochzeiten im Familien- und Freundeskreis erlebt hat, weiß es natürlich ziemlich genau, worauf es sich einlässt. Vielleicht waren Braut oder Bräutigam schon einmal Kranzlpaar bei einer Hochzeit, dann sind sie ebenfalls bestens gerüstet. Bei einer klassischen bayerischen Hochzeit gibt es nämlich immer ein sogenanntes Kranzlpaar, bestehend aus der Kranzljungfrau, meist einer unverheirateten Schwester oder Cousine von Braut oder Bräutigam, und dem Kranzljungherrn, also einem unverheirateten Bruder oder Cousin von Braut oder Bräutigam, die an diesem Tag dem Brautpaar unterstützend zur Seite stehen (nur falls Sie sich gewundert haben: Der zweite Teil des Wortes »Kranzljungfrau« ist heutzutage natürlich nur noch sprichwörtlich und unter traditionellem Gesichtspunkt zu verstehen, denn sonst dürfte das arme Mädl ja nicht älter als zwölf sein).
Eine der Aufgaben des Kranzlpaares ist es, in den Tanzpausen des Brautpaares dafür zu sorgen, dass die Tanzfläche immer gut besucht ist. Es wird vom Kranzljungherrn somit erwartet, dass er den ganzen Tag und am Abend tanzt wie »der Lump am Stecken«, dass er sich seiner Kranzjungfrau gegenüber besonders galant und charmant verhält und dass er bei Ministranten, Bedienungen und Musikern ein gutes Trinkgeld springen lässt – er ist quasi so etwas wie ein professioneller Eintänzer für einen Tag, nur dass eben er derjenige ist, der alles bezahlt. Er muss also beweglich, charmant und zuvorkommend sein und dabei den Geldbeutel sperrangelweit offen lassen. Was könnte einen Mann besser auf das Eheleben vorbereiten? Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher