Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
einmal einen Kranzljungherrn erlebt, der kurz davor den väterlichen Heizungs- und Sanitärbetrieb übernommen hatte und der sich am Ende der Hochzeit bei »seiner« Kranzjungfrau bedankt hat, weil diese ganze »Aktion auch geschäftlich für ihn sehr nützlich gewesen« sei. Er sagte das ganz ernst, und alle nickten zustimmend. Niemand lachte. Außer mir.
Mit so einer Generalprobe als Kranzlpaar im Rücken ist man als Brautpaar natürlich mental gewappnet für den »schönsten Tag im Leben«. Ich will es mal so sagen: Ob es nun immer der »schönste« sein wird, bleibt dahingestellt, aber es wird auf jeden Fall der längste, so viel steht fest.
Eine der vielen typischen Bauernhochzeiten, bei denen ich zu Gast war, lief ungefähr so ab:
Die Braut wurde nach kurzem, aber unruhigem Schlaf im Hause ihrer Eltern mitten in der Nacht (circa gegen fünf Uhr) von uns, einer Horde grölender, feierwütiger Freunde und Freundinnen, mit Böllern, Luftgewehrschüssen beziehungsweise Kanonenschlägen oder was eben gerade so vorrätig war und gescheit schepperte, samt musikalischer Umrahmung mit Trompete, Akkordeon und Gitarre quasi offiziell geweckt und musste danach ungeschminkt und ungeduscht für unsere Horde Weißwürscht mitsamt passender Getränkebegleitung – Weißbier gefolgt von Obstbränden – servieren. Ich mag normalerweise Weißwürscht wirklich gern, pflege aber vor dem Verzehr selbiger wach zu sein. Gegen fünf Uhr morgens rutschen sie tatsächlich nur schwerlich den Schlund hinunter, genauso wie achtundvierzigprozentiger Williams-Christ-Schnaps. Ich brauchte deshalb zu den Würschten einen starken Kaffee, um nicht zurück ins Koma zu fallen oder die Brautmutter zu bitten, doch ein bissl auf ihrem Küchensofa schlafen zu dürfen. Die Braut selbst hatte weder von der Speisen- noch von der Getränkeauswahl probiert, weil sie natürlich zum Essen zu nervös war und weil sie sich nach Abnahme aller »Toi, toi, toi« und Beglückwünschungen unter die Dusche schmeißen musste, denn bei Sonnenaufgang war ja der Friseurtermin geplant.
Zur gleichen Zeit spielte sich natürlich das gleiche Ritual im Hause des Bräutigams beziehungsweise seiner Eltern ab, wobei der Bräutigam dabei die Bewirtung der Gäste in Ermangelung von hausfraulichen Fähigkeiten (deshalb heiratete er ja!) stets seiner Mutter oder seiner Schwester respektive Schwägerin überließ. Im Gegensatz zur Braut langte er also kräftig zu und hielt sich auch beim Getränkeangebot nicht zurück, sodass er bereits gegen sieben Uhr einen beachtlichen Promillestand aufweisen konnte, der in etwa seiner Körpergröße in Metern entsprach.
Die Braut hingegen wurde nach einer kurzen Dusche im Jogginganzug von Anverwandten in ein Auto verfrachtet und zum Friseur ihres Vertrauens gebracht, der ebenfalls völlig übernächtigt und nervös war, denn er hatte Angst, dass die Brautfrisur sich eventuell im Laufe des Tages auflösen und er daraufhin am ortseigenen Maibaum von der Familie der Braut mit den alten Brezn vom Weißwurschtfrühstück, siehe oben, gesteinigt werden würde.
Beim Friseur angekommen, wurde der Braut unter gutem Zureden aller Salonmitarbeiter ein Gläschen Prosecco eingeflößt (oder zwei, je nachdem, wieviel die Braut in den letzten Wochen an Gewicht verloren hat, um in ihr Hochzeitskleid zu passen) mit den Worten: »Möchst du ham, dass dir am Altar der Kreislauf wegsackt? Nein? Guad, also sauf!« Kaffee wäre völlig unangebracht, denn nervös ist sie ja schon. Wir, die Freundinnen der Braut, waren inzwischen ebenfalls beim Friseur eingetroffen, denn mit drei Obstbränden zum Frühstück bestand auch bei uns die Gefahr, dass eine selbst gezimmerte Hochsteckfrisur einen langen Tag nicht überstehen würde.
Während auf dem Kopf der zukünftigen Braut Türme von Löckchen, Zöpfchen, Perlchen, Glitzersteinchen, Krönchen und Schleierchen wahlweise in der Farbe Tipp-Ex-Weiß oder Crème befestigt wurden, versah eine dominante Visagistin mit blondierter Pudelfrisur das Brautgesicht – entgegen der sonstigen Gewohnheit – mit Farbe. Die Braut sah mit Eyeliner, Mascara und Rouge im Gesicht so verändert aus, dass ich vermutete, sie habe zur Visagistin gesagt: »Du, das Motto der Hochzeit is’ Dallas – aber mehr Pam wie Sue Ellen. Kriegst des hin bis um zehne?«
Ich habe mich bei Hochzeiten oft gewundert, dass der Bräutigam seine jeweilige Zukünftige am Altar überhaupt erkannte, so groß war oft der Unterschied zwischen naturbelassener
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