Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
die meisten Gäste damit beschäftigt, nicht in Lachen auszubrechen, während das frischvermählte Paar durchs Kirchenschiff schritt. Wir nestelten alle inzwischen in unseren Handtaschen, um Kleingeld herauszufischen, denn jetzt begann der geschäftliche Teil der Zeremonie: Am Kirchenausgang hatten bereits die geschäftstüchtigen Ministranten Position bezogen, das heißt, sie sperrten den Eingang mit einer Schnur ab und verlangten Wegzoll, wobei sie das Brautpaar und den Herrn Pfarrer noch durchließen, aber nicht den Rest der Gäste. Ein sinnvoller Brauch, denn der Jugend wird dadurch bereits im zarten Alter demonstriert, dass hinter jedem sakralen Akt nicht nur viel Weihrauch und feierliche Stimmung, sondern oft auch ein gutes Geschäft stehen kann. Diese Form von Pragmatismus wird im katholischen Bayern keineswegs als pietätlos angesehen – zumal es sich ja nur um kleinere Euro-Beträge handelt –, sondern ist vielmehr eine kleine Reminiszenz an die lange Tradition des Ablasshandels.
Vor der Kirche standen wir, die Freundinnen der Braut, mit gekreuzten Tennisschlägern Spalier (wir waren alle im selben Tennisverein), während vor dem Friedhof die Spezln des Bräutigams mit ihren blank geputzten Feuerwehrfahrzeugen darauf warteten, dem jungen Glück zuzujubeln, denn der Bräutigam war natürlich Mitglied der freiwilligen Feuerwehr.
Vor der Kirche habe ich bei Hochzeiten schon Spaliere aus Traktoren, Krankenwagen, Motorrädern oder – wie bei der Hochzeit meines Bruders Chris – Mähdreschern gesehen, je nachdem, welche Hobbys das Brautpaar pflegt beziehungsweise welchen Berufen es nachgeht.
Nach uns bildete sich eine lange Schlange von Gratulanten, die jeder einzeln dem Brautpaar von Herzen und sicherlich nicht ohne Grund viel Glück und alles Gute wünschten. Für mich als unverheiratete, nicht mehr ganz taufrische Freundin oder Verwandte der Braut oder des Bräutigams, war dieses Sich-Einreihen in die Gratulantenschar oft ein kleiner Spießrutenlauf, denn ältere Damen oder Anverwandte wollten bei dieser Gelegenheit immer gern wissen, wann es denn bei mir so weit sei: »Und? Wann packst nacha du an?« Wohlwissend natürlich, dass ich zu der Zeit Single war.
Etwas forschere Verwandte gingen gleich dazu über, mir den brokatummantelten Ellbogen in die Seite zu rammen und leise zu flüstern: »Du bist die Nächste, wirst sehen: Du bist die Nächste !«
Das Ganze hörte erst dann auf, als ich anfing, bei Beerdigungen dasselbe zu machen.
Übrigens, wichtig beim Gratulieren ist: Vor der Kirche werden dem Brautpaar noch nicht die Kuverts mit den Geldgeschenken übergeben, das geschieht erst später in der Wirtschaft. Da es sich bei den Präsenten nämlich um (meist) größere Summen handelt, empfände man diesen Vorgang nicht direkt als gotteslästerlich – da bräuchte es schon etwas mehr –, aber zumindest als unangebracht.
Als der ganze Reis in der meterlangen Schleppe der Braut und ihrem weißen Pelzjäcken verschwunden und unsere Tennisschläger wieder verstaut waren, machten wir uns auf zur Wirtschaft. Das Brautpaar stieg in den mit Blumenschmuck versehenen nigelnagelneuen 7er- BMW , quasi die moderne Version der Brautkutsche. Das Auto gehörte natürlich nicht dem Brautpaar, sondern es handelte sich um ein Leihauto, das der Cousin des Bräutigams besorgt hatte, der – wie Großtante Inge zu sagen pflegt – »bei der BMW arbeitet.«
Die Hochzeitsgesellschaft fuhr also im hupenden Autokorso zur Wirtschaft – wobei man zwischendurch wieder von Absperrungen durch die geschäftstüchtige Dorfjugend abgebremst wurde – und landete schließlich im Innenhof des Gasthofs, wo sich alle bei einem Gläschen Rieslingsekt oder Prosecco (Großtante Inge nahm sich Sekt-Orange) für die weiteren Tagesordnungspunkte wappneten. Inzwischen war es so warm geworden, dass ich direkt froh war, kein Geld für ein passendes Jäckchen ausgegeben zu haben, das ich jetzt nur hätte mit mir herumschleppen müssen. Und da ich von der Wirtschaft aus jederzeit zu Fuß nach Hause gehen konnte, kippte ich gleich zwei Sekt hintereinander hinunter.
Das machten übrigens auch die meisten Männer. Aber nicht etwa, weil sie Sekt so gern mochten wie ich, sondern weil sie sich jetzt nichts sehnlicher als eine Halbe Bier wünschten und deshalb die Sache mit dem Aperitif so schnell wie möglich hinter sich bringen wollten. Dabei lösten die ersten schon mal den Krawattenknoten und meinten sehnsuchtsvoll zur Bedienung, als sie sich mit
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