Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Brautpaares, da mit eben diesem Taufsakrament automatisch eine höhere finanzielle Verpflichtung verknüpft ist. Das heißt, die Anwesenheit als Taufpate oder Taufpatin sollte mit mindestens 200 Euro pro Person zu Buche schlagen, die Richterskala bleibt jedoch nach oben offen.
Manche ältere, teils auch weitschichtig anverwandte Tanten oder Großtanten (die männlichen Pendants dazu sind ja meist bereits verblichen) sind oft so erfreut über die unerwartete Einladung zu einer Hochzeit und die damit verbundenen gesellschaftlichen Vergnügungen, dass sie bis zu tausend Euro und mehr für das junge Glück springen lassen.
Ich habe mich im Laufe all der Jahre und all der Hochzeiten oft gefragt, warum das Brautpaar nicht einfach seine Kontonummer auf die Einladung drucken lässt, man überweist Betrag X und braucht selber gar nicht mehr hinzugehen, auf Bayerisch also eine Win-win-Situation!
Aber wer würde dann das Brautkleid, die geschmückte Kutsche, die Tauben, die Blumenkinder et cetera bewundern? Außerdem ist ja bekanntlich nur Bares Wahres, was mir eine Bekannte mal versicherte: Sie hatte nämlich gerade erst einen Großbauern geehelicht, und als ich sie zwei Tage später beim Metzger traf, konnte sie sich gar nicht mehr erinnern, dass ich auch auf ihrer Hochzeit war, weil sie meinte: »Mei, bei dreihundert Leut, da kannst dir nimmer jeden merken!«
Gerade als ich noch überlegte, ob es mir im gleichen Fall ähnlich ergangen wäre und ob ich überhaupt so eine große Hochzeit gewollt hätte, konfrontierte sie mich mit der Frage: »Was meinst, was mein Mann und ich die ganze Hochzeitsnacht gemacht ham?«
Und bevor ich noch einen weniger peinlichen Ausdruck für »bubu machen« gefunden hatte, kam sie mir zuvor und meinte: »Mir ham die ganze Nacht Geld zählt!«
Das ist es, was ich unter anderem an bayerischen Frauen jeden Alters so schätze: Da kann kommen, was will: Hochzeit, Romantik oder Liebe, wichtig ist doch nur, dass »as Sach zammghalten wird«, dass also Haus und Hof und Tantiemen festgehalten werden, damit es nie im Leben »nass neigeh« wird.
»As Sach zammhalten« und eine kräftige »Unterlag« (also Speise), die Leib und Seele zusammenhält, das sind neben katholischer Grundgesinnung die Eckpfeiler des bayerischen Zusammenlebens.
Deshalb wird bei einer Hochzeit gleich nach dem Dessert das reichhaltige Kuchenbüfett aufgebaut, denn die vielen Bocksbeutel, die wenig später in der Weinstube noch zu trinken sind, wollen abgefedert werden. Und was würde besser dazu taugen als selbst gemachte knusprige Schaumrollen, eine achtschichtige Prinzregententorte von Tante Anneliese, Schuxn von der Mama, riesige puderzuckerbestäubte Kirchweihnudeln mit reichlich Rosinen, Hinterberger Haustorte, Linzer Torte, Florentiner, Donauwellen, Zebrakuchen, Hasenöhrl, kalter Hund (oder war es toter Hund?) und ein Furcht einflößendes Rieseneck vom obligatorischen Erdbeerkuchenherz.
So gestärkt, ging es schließlich unter Blechbläser- und Gitarrenklängen in den von einer großen Kastanie beschatteten Innenhof zur sogenannten »Weinstubn«, das sind die Stunden zwischen Kuchenbüfett und Abendessen, die nur zwei Zwecken dienen: dem gnadenlosen Amüsement und dem systematischen Besäufnis, zwei Dinge, die sich eigentlich decken, wie ich finde. Die »Weinstubn« findet meist in einem anderen Raum als die eigentliche Hochzeitsfeier statt: entweder in der Kegelbahn, in einem umgebauten Kuhstall oder einem stadelähnlichen Gebäude oder eben im Freien. Serviert wird in der Regel ein mittelbilliger Weißwein (gern Bocksbeutel), der seinen Zweck immer erfüllt: Bereits nach einer halben Stunde befand sich die gesamte Hochzeitsgesellschaft nämlich in geradezu rheinländischer Hochstimmmung – ein unvergleichlich heiterer und gewaltfreier Zustand, der in dieser Form mit Bier wohl gar nicht herzustellen wäre. Alle schunkelten und grölten zu Liedern, die den Ist-Zustand deutscher Kultur wesentlich besser repräsentieren als der Kulturteil der Süddeutschen Zeitung : »Es gibt kein Bier auf Hawaii«, »Rosamunde«, »Hey Baby«, um nur einige der Stimmungsknaller zu nennen.
Der Progoder heizte die ohnehin schon brodelnde Stimmung an, indem er das Brautpaar »aussang«, das heißt, er hatte sich vorher bei Verwandten und Familie des Brautpaares erkundigt und schilderte jetzt das Brautpaar mitsamt seinen Charaktereigenschaften plus kleinen lustigen Begebenheiten von früher in Reimform. Dabei erfuhren die Gäste, dass
Weitere Kostenlose Bücher