Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
weniger daran, dass der Bayer zu höflich ist, um jemanden von einem Fest zu vertreiben, auch wenn derjenige nicht eingeladen ist, sondern weil es den männlichen Anwesenden immer eine geradezu kindliche Freude bereitete, wie ortsfremde Damen, die noch nie von dem Dapper gehört hatten, auf seine Leibesvisitation reagierten. Unter Geschmunzel und Sich-gegenseitig-Anrempeln beobachteten die Herren, wie der Dapper sein ahnungsloses Opfer ins Visier nahm, es nach kurzem Zögern mit ihm auf die Tanzfläche zusteuerte und danach das immer gleiche Spiel begann: Dapper klemmt Opfer in seinen Schraubstockgriff, Opfer blinzelt kurz irritiert, Dapper schließt hingebungsvoll seine Augen und widmet sich dem rhythmischen Abtasten, Opfer reißt die Augen immer weiter auf und versucht, sich aus Schraubstockgriff zu winden, Musiker bemerken verzweifelten Opferblick und hängen noch drei Refrains an, Dapper inzwischen im Zustand ekstatischer Verklärung, Opfer stemmt sich mit den Händen gegen Dapper-Brust, Musiker haben Erbarmen, Opfer reißt sich aus Umklammerung (wahlweise auch gern mit kräftiger Watschn für den Dapper) und flieht entweder in die Damentoilette oder an die Bar, Dapper bleibt mit verzücktem Gesichtsausdruck und feuchtem Fleck im Schritt zurück. Aber ich hatte Glück: Gott war mit mir und allen anderen Single-Frauen im Saal, und der Dapper war entweder erkrankt oder es gab an diesem Samstag irgendwo im Umkreis noch eine andere Hochzeit.
Manchmal wird die etwas zähe Phase bis zur »Weinstubn« auch aufgelockert durch Unvorhersehbares: Ein befreundeter Tontechniker spielt beispielsweise in einer Hobbyband, die oft für Hochzeiten gebucht wird. Er erzählte mir vor Kurzem von einem recht peinlichen Fauxpas eines seiner Bandkollegen. Die Band spielte bei irgendeiner Hochzeit, und gerade als die Rede des Brautvaters der ziemlich fülligen Braut begann, beschlossen besagter Tontechniker und sein Kollege, aus urologischen Gründen ein Päuschen einzulegen, da sich die Rede des Brautvaters gern auch mal etwas länger hinziehen kann. Was beide jedoch nicht wussten, war die Tatsache, dass sie vergessen hatten, ihr Ansteckmikrofon auf lautlos zu stellen, also war die Stimme seines Kollegen im ganzen Saal zu hören, als er auf der Herrentoilette zu meinem Spezl sagte: »Wennst so a fette Sau heiraten musst, dann kannst dich glei derschießen!« Es muss nicht extra erwähnt werden, dass die Hochzeit für die Band vonseiten des Brautvaters und auch des Bräutigams zu diesem Zeitpunkt für beendet erklärt wurde und ihre Gage bis heute aussteht.
Gleich nach der Nachspeise folgt meist das »Zuckerl« für die Brautleute, nämlich das Einsammeln der Ehrgeldkuverts. Beim Ehrgeld handelt es um einen (gern auch größeren) Obulus, den jeder Gast zahlen sollte, quasi der finanzielle Gegenwert, den man eigentlich in Geschenke fürs Brautpaar investieren würde. Ich habe vor vielen Jahren einmal auf einer Hochzeitseinladung den sinnigen Spruch gelesen: »Geldgeschenke sind phantasielos – besonders kleine!«
Denn auf dem Land sind die sonst üblichen Hochzeitstische, die in Haushaltswarenläden zu finden sind, oder gar Geschenklisten, wo jeder Hochzeitsgast im Vorhinein entscheiden kann, ob er gern die sechs Sektkelche »Schönbrunn«, das Bewässerungsschlauchsystem für den Vorgarten oder gleich die Vespa erstehen möchte (Großtante Inge?), eher unüblich. Frei zu wählende Geschenke stehen natürlich – sieht man sich die Wohnungseinrichtungen der lieben Anverwandten an – gar nicht erst zur Debatte, denn man möchte ja schließlich nicht Gefahr laufen, drei gleiche FC -Bayern-Waffeleisen, Eierbecher mit Häschenmotiven oder dekorative Scheußlichkeiten wie bunte Blechhähne, die sich mit einem Teelicht illuminieren lassen, geschenkt zu bekommen. Aus ebendiesen Gründen schenkt man bei bayerischen Bauernhochzeiten vorzugsweise Bares. Der Anstand gebietet hierbei eine recht klare Vorgabe, was jeder einzelne ins Kuvert stecken sollte. Hier ein kleiner Auszug:
Die Preise verstehen sich
in Euro pro Person als Mindestangabe
Verwandtschaft ersten Grades (Tanten, Onkel et cetera)
10 0 – 200
Cousi n /Cousine
10 0 – 150
Freun d /Freundin der Braut/des Bräutigams
10 0 – 150
Nachbarn
8 0 – 100
Für mitgebrachte Kinder unter vierzehn Jahren wird kein Ehrgeld berechnet.
Für Kinde r /Jugendliche über vierzehn Jahren wird der volle Preis, siehe oben, berechnet.
Ausgenommen von diesen Regeln sind die Taufpaten des
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