Man tut, was man kann (German Edition)
problem.»
Offenbar ist dem Küchenchef einzig und allein wichtig, dass in jedem Fall die Proportionen seiner Meeresfrüchteplatte erhalten bleiben. Vielleicht glaubt er, das Gleichgewicht des Universums hänge daran. Wer weiß, vielleicht ist es ja auch so. Jedenfalls ziehen sich Koch und Kellner zufrieden zurück, Letzterer nicht ohne zuvor unsere Weinbestellung entgegenzunehmen. Der offene Weißwein geht so, weshalb wir nun auf Flaschen umsteigen.
Die Meeresfrüchteplatte für eine Person sieht aus, als hätte Poseidon versucht, den Turm von Babel zu bauen. Da die Platte obendrein auf ein kleines Podest gestellt wird, kann ich Iris jetzt nur noch sehen, wenn ich mich orthopädisch bedenklich strecke und an einer theatralisch in die Luft ragenden Langustenschere vorbeischiele. Da wir beide wissen, wie empfindlich der Küchenchef ist, hüten wir uns, die Tiere auf der Platte einfach beiseitezuräumen. Mit Sicherheit würde ihn das beleidigen, er lauert wahrscheinlich sowieso hinter der Durchreiche, um sofort eingreifen zu können, wenn an unserem Tisch irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht.
Iris und ich beginnen also, uns an unseren Augenkontakt heranzuarbeiten, indem wir Meerestiere auf unsere Teller hieven. Wir fragen uns dabei, ob eine Liste jener Weltmeere, die wir bereits bereist haben, ähnlich lückenhaft ausfallen würde wie unsere zuvor aufgestellte Liste der großartigsten Städte der Welt. Ich konstatiere, von den sieben Weltmeeren höchstens drei gesehen zu haben. Iris behauptet, die sieben Weltmeere überhaupt nicht zu kennen. Ich nehme diese Wissenslücke mit gespielter Entrüstung zur Kenntnis, weshalbsie mich so lange provoziert, bis ich bereit bin, die sieben Weltmeere aufzuzählen. Beim ersten Versuch komme ich auf zwölf Weltmeere. Eigentlich mehr, als Iris verlangt hat, aber die will ihre sieben Weltmeere, keins mehr und keins weniger. Ich ziehe erst mal die Ozeane ab, die ich einfach spontan nicht mehr zu den Meeren zähle, habe dann aber immer noch zwei Weltmeere zu viel. Mir fällt ein, dass die Binnenmeere eigentlich zu den Seen gezählt werden, dadurch kann ich meine Liste weiter verkürzen, allerdings mit dem Ergebnis, dass mir jetzt zwei Weltmeere fehlen. Ich überlege, welche Meere man unter strukturellen Aspekten zusammenlegen könnte, weil ich vorhabe, die Ozeane nun doch wieder zu den Meeren zu zählen, derweil Iris sich amüsiert. Als sie eine weitere Garnele von der Platte hebt, entsteht eine Meeresfrüchtelücke, durch die wir uns sehen können. Wir lächeln beide und beginnen erneut, miteinander zu flirten. Dann stürzt leider ein halber Hummer in die Lücke und damit ins Bild.
Stunden später stelle ich plötzlich fest, dass wir die letzten Gäste im Coq et Lapin sind. Der Meerefrüchteplatte sind eine Tarte Tatin und eine Mousse au Chocolat gefolgt, die wir uns ebenfalls geteilt haben. Dann tranken wir mehrere Eau de Vie und zwei Kaffee, die ich Espresso genannt hätte, der Kellner bestand aber darauf, sie als «petit noir» zu servieren. Jetzt stellt der Mann zwei Gläser Champagner auf den Tisch, um dezent anzudeuten, dass wir uns mal langsam vom Acker machen könnten.
Die Nacht ist kühl, die Luft schmeckt frisch. Iris und ich schlendern eine menschenleere Straße entlang. Eigentlich könnte ich jetzt den Arm um ihre Schultern legen, aber mein Ehrenmannprojekt steht dem im Wege.
Irgendwann zieht Iris ihren Autoschlüssel aus der Tasche, betätigt die Funkfernbedienung, und unmittelbar vor uns öffnen sich mit einem vernehmlichen Klacken die Schlösser eines älteren Kombis, und die Innenraumbeleuchtung geht an. Iris öffnet die Heckklappe. Die Ladefläche ist voll mit Medikamenten, Decken, Verbandsmaterialien und medizinischem Gerät.
«Du solltest lieber ein Taxi nehmen», sage ich. «Wir haben definitiv zu viel getrunken.»
«Ich weiß», erwidert sie. «Ich will auch nicht fahren, ich schau nur gerade …» Sie wühlt in verschiedenen Kisten, bis sie schließlich gefunden hat, wonach sie sucht. «Hier.» Sie drückt mir ein kleines Päckchen in die Hand.
«Schönen Dank. Was ist das?»
«Eine Probepackung Kondome.»
«Aha», sage ich etwas tonlos, während ich den Sinn der Aktion zu ergründen versuche. «Bist du so ’ne Art Vertreterin dafür, oder was?»
Sie lächelt. «Einmal im Monat behandle ich Haustiere von Kids, die auf der Straße leben. Die haben wenig oder gar kein Geld, brauchen die Dinger aber. Also hab ich einen Deal mit ’nem Hersteller
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