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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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Offensichtlich fühle ich mich nicht allzu gut.
    Normalerweise würde ich früh aufstehen und laufen gehen, aber nicht heute. Heute stehe ich auf und nehme eine Dusche. Dann ziehe ich mich an. Ich trage neue Jeans; das Preisschild hängt noch am Hosenbund. Es sind hautenge Jeans, wie sie momentan gerade total angesagt sind, mit Glitzersteinchen auf den Gesäßtaschen und einer tiefsitzenden Gürtellinie, die meinen flachen Bauch sehen lässt. Das kombiniere ich mit einem kurzen, luftigen rosa Bustier mit Nackenträger, das Nicole in einem exklusiven Kommissionsladen in Manhattan für mich gekauft hat, und einem Paar offener lederner Schuhe mit Kitten-Heel-Absätzen (die Ziersteine an den Fersen verleihen dem Ganzen im Zusammenspiel mit den Verzierungen auf der Jeans einen ganz besonderen Touch); ich sehe großartig aus. Ich bin sicher, dass mir das auch bewusst ist. Ich entsinne mich, wie ich immer wieder vor meinem fast deckenhohen Spiegel stand und mich einfach selbst betrachtete. Manchmal kam mir in den Sinn, dass ich diesen Körper vermutlich nicht ewig haben würde. Aber jetzt ist er so, wie er ist: gebräunt, schlank, hinreißend. Ich benutze meine Maße in der Schule als Spindkombination: 86-58-81.
    Es dauert jeden Tag gute fünfundvierzig Minuten, bis Haar und Make-up sitzen, und obgleich ich mich im Augenblick grässlich zu fühlen scheine, mache ich mich an die übliche Routine: eine vierstufige Hautpflegekur, die von einem Dermatologen eigens für mich zusammengestellt wurde, obwohl ich nie Probleme mit Akne hatte. Meine Poren sind praktisch unsichtbar. Die Kur besteht aus Reiniger, Gesichtswasser, Feuchtigkeitscreme und Augenpflegecreme. Ich erinnere mich, dass meine Mom häufig in den Spiegel sah und über die dunklen Ringe unter ihren Augen lamentierte. Ich nicht. Schon in jungen Jahren war ich ausgesprochen versiert in puncto vorbeugender Pflege.
    Dann kommen Grundierung, Selbstbräuner, Rouge und ein kurzes Abtupfen mit losem Puder, um alles zu fixieren. Wiederum sind alle Farbtöne nach meinen speziellen Wünschen gemischt: Dreimal im Jahr fährt Nicole mit Josie und mir nach New York City, um einen Makeup-Künstler zu besuchen, der Kunden bloß nach vorheriger Terminvereinbarung empfängt. Wir haben das Beste vom Besten. Die Langwierigkeit unserer täglichen Schminkroutine lässt meinen Vater die Augen verdrehen, doch am Ende zuckt er stets die Schultern und sagt: »So sind Mädchen eben.«
    Jetzt kommt Lidschatten, und zwar in drei Farbtönen: eine neutrale Basis für das gesamte Lid, ein dunkler Strich, der dicht bei den Wimpern verläuft, und ein Glanzlicht quer über den Brauenknochen. Dann schattiere ich alles und trage Eyeliner auf. Falsche Wimpern mit Selbstkleber, die so gut haften, dass es sich wie eine rasche Attacke von Bienenstichen anfühlt, wenn man sie wieder abzieht. Eine Schicht Mascara; einige Sekunden warten, auskämmen, dann noch eine Schicht. Dann das sorgfältige Auftragen von Lippenkonturstift, mattem Lippenstift und Gloss. Schließlich versehe ich meine Ohren mit zwei halbkarätigen Diamantsteckern, die meiner Mutter gehörten. Sofern ich nicht ein anderes Paar Ohrringe trage, die ebenfalls die ihren waren – ihre Silber-Diamant-Flambeaus gefallen mir mit am besten –, gehe ich fast nie ohne sie. Sie waren ein Geschenk meines Vaters zu ihrem einjährigen Hochzeitstag. In einem Jahr wird man mich mit ihnen begraben.
    Mein Haar ist eine vollkommen andere Geschichte. Im Gegensatz zu Josie, die mit schlaffen, stumpfen Locken geschlagen ist, habe ich dieses erstaunliche blonde Haar, das lediglich gut geföhnt und ein wenig gebürstet werden muss, um perfekt zu fallen. Ich finde, dass mein Haar stets meine größte Besonderheit war. Meine Füße waren es jedenfalls nicht.
    Meine Eltern sind nicht da, so dass nur Josie und ich am Frühstückstisch sitzen. Es muss Samstag oder Sonntag sein; wir wirken nicht so, als wären wir in Eile, um zur Schule zu kommen. Josie trinkt Orangensaft, isst ein Milchbrötchen, auf das sie sich Erdnussbutter geschmiert hat, und blättert eine Ausgabe des People -Magazins durch.
    »Das ist Dreck. Dieses Zeug kommt dir geradewegs wieder zum Hintern raus, weißt du.« Ich muss die Erdnussbutter meinen. Natürlich meine ich damit die Erdnussbutter.
    »Halt die Klappe. Das ist Protein.«
    »Das ist reines Fett. Und du haust dir diesen Mist rein, als wäre es gar nichts.«
    Sie hält mitten im Kauen inne. Sie trägt noch ihren Schlafanzug. »Warum bist du

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