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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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im Aschenbecher vor sich hin raucht. Sein Name – VINCE — ist auf die Brusttasche seines Overalls gestickt.
    Mein lebendes Ich, das neben Richie steht, kann seinen Abscheu unmöglich verbergen. Und ich kann es mir nicht verübeln; Vince ist kein Mann, er ist eine Lebensform . Ich rücke einen Schritt näher an Richie heran, schlinge meinen Arm fest um seine Taille und kneife ihn in die Seite. Er zuckt zusammen; ich muss ihn fest gekniffen haben, um sicherzugehen, dass er weiß, dass ich nicht sonderlich glücklich bin.
    Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und lege meinen Mund an Richies Ohr. »Ich möchte wieder gehen«, flüstere ich. Ganz offensichtlich ist es mir egal, dass Vince alles sieht, was ich tue, und mich möglicherweise sogar hören kann.
    »Willst du deinen Wagen nun repariert haben oder nicht, Liz?«, murmelt Richie. »Beruhige dich. Ganz cool.«
    »Was ist los, Süße?« Vince behält beim Sprechen die Zigarette zwischen seinen Lippen und atmet durch die Nase aus. »Bist du’s nicht gewohnt, dich in diesem Viertel rumzutreiben? «
    Der Hund setzt sich auf, als habe er sich erschrocken, und bellt laut. Er stürmt auf uns zu, wird jedoch von der Kette zurückgerissen. Hechelnd stellt er sich auf die Hinterbeine; Geifer hängt in dicken, schaumigen Fäden von seinem schwarzen Zahnfleisch. Während ich die Szene verfolge, muss ich fast würgen. Es überrascht mich festzustellen, dass ich wünschte, Alex wäre bei mir. Seine Gegenwart wäre im Augenblick beruhigend – oder zuallermindest eine gewisse Ablenkung.
    »Das ist bloß Rocky«, sagt Vince; meine offenkundige Abscheu lässt ihn grinsen. »Er ist ein guter Hund. Ja, das bist du, nicht wahr, Rocky?« An Richie gewandt, sagt er: »Ist das wirklich deine Freundin?«
    Richie schiebt die Hände in seine Hosentaschen. »Ja, sie ist wirklich meine Freundin.« Er lässt ein entschuldigendes Lächeln aufblitzen. Als ich mich selbst ansehe und meine düstere Miene betrachte, fällt es mir nicht schwer zu erraten, was mir durch den Kopf geht: Ich wusste stets, dass Richie wegen seiner außerschulischen Aktivitäten einen Teil seiner Zeit in der Gesellschaft unangenehmer Leute verbringt, doch etwas Derartiges hätte ich mir nicht einmal im Traum vorgestellt. Vermutlich werde ich eine Dusche nehmen, sobald ich nach Hause komme, um den Gestank dieses Ortes wegzuwaschen.
    »Tja. Werfen wir doch mal einen Blick auf den Wagen. Du willst ihn schnell repariert haben, richtig?«
    »Er muss unverzüglich wieder in Ordnung gebracht werden«, stelle ich klar. »Am liebsten schon bis gestern. Er war ein Geburtstagsgeschenk. Ich habe eine Parkuhr angerummst. Am vorderen Kotflügel ist bloß eine winzige Beule; ich bin sicher, dass es kein großes Problem sein wird, den Schaden zu beheben.« Ich schaue mich in der leeren Werkstatt um. »Zumal Sie nicht sonderlich viel zu tun zu haben scheinen.«
    »Hm.« Vince sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Warum das Theater? Willst wohl nicht, dass Daddy rausfindet, dass du den Wagen geschrottet hast? Hast du Angst, dass er dir sonst übers Wochenende deine Platin-Kreditkarte wegnimmt?«
    Ich starre ihn finster an. »Ich gehe auf die Highschool. Ich brauche ein Transportmittel.«
    Vince leckt sich gemächlich die Lippen und verzieht seinen Mund zu einem abartig wirkenden Grinsen. »Kannst du denn nicht einfach auf deinem Besen reiten?«
     
    Wir lassen meinen Wagen bei Vince stehen, der versprochen hat, den Schaden innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu beheben. Sobald Richie und ich in seinem Auto sind, sitzt er eine Minute lang schweigend da, mit geschlossenen Augen. Aus den Lautsprechern dringt »Scarborough Fair« von Simon & Garfunkel, Richies Lieblingsband. Die CD gehört zu einem Musikmix, den ich vor einigen Monaten für ihn zusammengestellt habe. Solche kleinen Einzelheiten, die mir scheinbar aus dem Nichts in den Sinn kommen, bringen stets Schübe von Kummer mit sich, die an Verzweiflung grenzen. Hätte ich doch nur gewusst, wie wenig Zeit uns noch zusammen bleibt. Ich bin mir sicher, dass die Dinge dann anders gelaufen wären. Dann hätte ich seine Hand fester gehalten. Dann hätte ich aufmerksamer dem Liedtext gelauscht; ich hätte die Bedeutung und Wichtigkeit der Worte zu würdigen versucht. Ich weiß, dass nach diesem Stück eine Radiohead-Coverversion von Carly Simons »Nobody Does it Better« kommt, unserem Lied. Jedes einzelne Wort davon ist zwischen uns die reine Wahrheit; jetzt ist mir

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