Manche Maedchen muessen sterben
Wochen später.« Er schaut zum Fenster hinaus, auf die Reihen der am Ufer vertäuten Boote; dann konzentriert sich sein Blick auf die Elizabeth , auf der wir erst vor wenigen Tagen einen so schönen Abend miteinander verbracht haben. Bevor ich starb. Damals, als das Leben noch angenehm, einfach und vollkommen war. Zumindest dachte ich das.
»Das, was da mit Josie läuft, ist nicht der Rede wert«, sagt er. »Das ist bloß das übliche schmutzige Teenagerdrama. Früher dachte ich, bei Liz und mir wäre das etwas anderes, aber ich schätze, ich habe mich geirrt. Wie auch immer, das mit Josie und mir ist einfach so passiert. Es hat nichts zu bedeuten. «
»Weiß Josie das?«, fragt Joe.
»Ich glaube schon.« Richie nickt; er starrt immer noch die Elizabeth an.
Joe schiebt seinen Ehering wieder an seinen angestammten Platz. Er erhebt sich, bleibt hinter Richies Schulter stehen und folgt seinem Blick.
»Was ist in jener Nacht passiert? Bist du mit Liz in Streit geraten? Hast du sie zur Rede gestellt?«
»Nein. Sie wusste nicht, dass ich es weiß.«
»Warum hast du es ihr nicht gesagt? Komm schon, Richie. Du warst wütend. Du hast mit ihrer Stiefschwester angebandelt. Ich verstehe schon; du wolltest ihr für das, was sie getan hat, wehtun.«
Richie dreht sich um. »Da irren Sie sich. Ich war wütend, klar. Ich nehme an, dass ich es ihr in gewisser Weise heimzahlen wollte, indem ich mit Josie rumgemacht habe. Und ich wusste, dass ich sie irgendwann zur Rede stellen muss. Ich wusste, dass wir wegen dem, was sie getan hat, vermutlich Schluss machen würden.«
Joe sieht ihn skeptisch an. »Aber da noch nicht?«
»Nein. Da noch nicht.«
»Und warum nicht?«
»Weil«, sagt Richie und schaut wieder zum Boot hinüber. Er nimmt den Daumen und hält ihn in sein Blickfeld, wie um die Elizabeth aus seiner Wahrnehmung zu tilgen. »Ich wollte ihr ihre Geburtstagsfeier nicht verderben. Dafür liebte ich sie zu sehr.«
8
Ich kann mich bloß an einen Teil meines Lebens erinnern. Ich kann mich nicht genau entsinnen, was ich in der Nacht tat, in der ich starb, oder eine Woche davor. Abgesehen von dem kurzen Flashback, den ich hatte, als ich mich selbst mit Richie in seinem Wagen sah, erinnere ich mich kaum daran, überhaupt auf dem Abschlussball der Junior High gewesen zu sein. Ich kann mich nicht an das letzte Mal erinnern, als ich zu Lebzeiten mit meinen Eltern sprach. Ich kann nicht einmal mit Gewissheit sagen, ob ich meinen Freund betrogen habe oder nicht. Doch ich erinnere mich ans Laufen.
Das ist wie in meine Knochen eingeprägt; ich kann mich an den Rhythmus meiner Schritte auf Beton und Erde erinnern; ich erinnere mich an den allmählichen Prozess des Aufwachens, der jeden Morgen stattfand, wenn ich zur Haustür hinaustrat und bei einem lockeren Tempo angelangt war, wenn ich das Ende der High Street erreichte. Ich erinnere mich daran, was für ein Gefühl es war, kalt und trocken und müde anzufangen, um schließlich verschwitzt und warm und beschwingt wieder aufzuhören. Laufen war für mich wie Zauberei. Es war eine Art Glückseligkeit, für mich ganz allein. Laufen war alles für mich, und es fehlt mir fast mehr als alles andere.
Daher entbehrt es nicht einer gewissen bösen Ironie, dass ich in meinem Leben nach dem Tode schlecht sitzende Cowgirlstiefel trage, die auf meine ohnehin schon mit Blasen bedeckten Füße drücken. Aus Gründen, die ich nicht verstehe, sind diese Stiefel die einzige Schmerzquelle, die ich kenne. Zu Lebzeiten liebte ich sie. Doch ich hätte mir nie träumen lassen, dass sie einmal ein fester Bestandteil meiner Geistererscheinung werden.
Alex und ich sitzen im ersten Stock der Noank High auf dem weißen Linoleum, den Rücken gegen eine Spindwand gelehnt. Es ist der erste Tag unseres letzten Schuljahres, wenn wir denn noch am Leben wären, und in den Fluren herrscht dank des Ablebens von jedermanns Liebling eine spürbare Schwermut; es ist, als wolle keiner von ihnen zu zufrieden wirken. Die Flaggen draußen sind auf Halbmast gehisst. Mein inoffizieller Platz auf dem Schülerparkplatz bleibt leer. An diesem Morgen habe ich bereits gehört, wie Jugendliche sich darüber unterhalten haben, dass in der Bibliothek Trauerbegleiter darauf warten, jeden zu trösten, den mein vorzeitiges Ableben zu sehr mitnimmt.
»War es nach meinem Tod auch so?«, fragt Alex leise.
Sosehr es mich freut, etwas Gesellschaft zu haben, gibt es doch Zeiten – wie gerade jetzt –, da ärgert es mich einfach
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