Manche Maedchen muessen sterben
»Es war, als könnte sie ihrer Herkunft einfach nicht entrinnen. Sie war genau wie ihre Mom.«
Ich kann nicht glauben , dass sie das gesagt hat. Das Gefühl der Kälte, das mich stets begleitet, ist plötzlich irgendwie durchdringender.
Was redet sie da? Ich war absolut nicht wie meine Mutter. Ich war nicht magersüchtig. Ich bin bloß gern gelaufen. Die ganze Zeit über. Jeden Tag.
Caroline zuckt die Schultern, unbeeindruckt von dem Kommentar über meine Mutter. »Ich finde aber nicht, dass sie schlecht aussah. Man kann doch nie zu dünn oder zu reich sein, richtig?«
Meine Stiefschwester wirkt, als wolle sie wieder anfangen zu weinen. Sie starrt zu meiner in einem hellen Lila-Ton gehaltenen Zimmerdecke empor. Und als ich ihrem Blick folge, erinnere ich mich: Sie und ich haben die Decke gemeinsam gestrichen, nur wenige Monate vor meinem Tod, an einem regnerischen Sonntagnachmittag. Bevor wir die Oberfläche mit Rollen strichen, nahmen wir Pinsel und schrieben in verwirbelten rosa Buchstaben unsere Namen. Wir schrieben: JOSIE UND LIZ BFF. Best Friends Forever. Ich schrieb: LIZ + RICHIE FOREVER. Wenn ich mit zusammengekniffenen Augen zur Decke aufblicke, kann ich die schwachen Umrisse der Buchstaben trotz zweier Anstrichschichten noch immer unter der Farbe ausmachen.
»Es gibt da etwas, das ich euch beiden erzählen muss«, sagt Josie leise.
»Ach ja?« Caroline ist nur mäßig interessiert; stattdessen studiert sie die Handstickereien auf einem Jäckchen mit Hahnentrittmuster, das ich geliebt habe.
»Ja.« Josies Haar ist zu einem straffen, glatten Pferdeschwanz gebunden. Je älter sie wird, desto dunkler wird ihr Haar. Als Folge davon wirken ihre Strähnchen, die wenig subtil und so hell sind, dass sie fast platinblond aussehen, unnatürlich und übertrieben.
In diesem Moment löst sie das Gummi ihres Pferdeschwanzes und schüttelt ihr Haar so, dass es in Wellen über ihre Schultern fällt. »Es geht um Richie«, sagt sie. Sie zögert. Als sie spricht, ist ihre Stimme zittrig, unsicher. »Wir gehen miteinander. «
Mera rammt sich beinahe einen Mascara-Pinsel ins Auge, als sie ihren Kopf ruckartig in Josies Richtung herumreißt. Caroline, die das Hahnentritt-Jäckchen angezogen hat und gerade versucht, ihren breiten Fuß in einen meiner schmalen Schuhe zu quetschen, stolpert und fällt als sonnengebräunter, getönter Haufen zu Boden.
»Du und Richie?«, sagt Caroline; sie setzt sich aufrecht hin und zupft das Jäckchen über ihrer Brust wieder an Ort und Stelle. »Seit wann?«
»Seit ein paar Monaten.« Josie zögert. »Er wollte mit Liz Schluss machen.«
»Das habe ich schon mal gehört«, sage ich und halte mir die Ohren zu. »Ich will mir das nicht nochmal anhören.«
Alex zieht meine Hände von meinem Kopf weg. »Du musst zuhören«, beharrt er. »Warum sind wir sonst hier?«
Doch ich ignoriere ihn. Ich reiße mich aus seinem Griff frei, gehe in mein Badezimmer und setze mich in die Duschkabine. Einen Moment lang scheint es, als sei es mir gelungen, mich von Alex zu distanzieren, wenigstens ein paar Meter. Doch ich bin nur eine Minute im Bad, als Caroline hereinkommt.
Sie verriegelt die Tür hinter sich, dann starrt sie ihr Abbild im Spiegel an.
»Hey, Caroline«, sage ich, obwohl ich weiß, dass sie mich nicht hören kann. »Ich bin hier.«
Sie dreht den Wasserhahn auf. Dann beginnt sie vorsichtig und leise, die Schubladen meines Badezimmertoilettentischs aufzuziehen und den Inhalt zu durchstöbern.
Während ich meine Freundin beobachte, sickern eine Handvoll neuer Erinnerungen über sie in mein Bewusstsein. Dies ist Caroline Ann Michaels, die ich seit der Vorschule kenne. Sie ist kontaktfreudig, freundlich und ausgesprochen intelligent. Wie ich bereits sagte, ist sie Cheerleaderin; daran erinnerte ich mich bereits zuvor. Jetzt jedoch erinnere ich mich an Einzelheiten ihrer Persönlichkeit, an Fakten über ihre Familie. Sie verleiht ihrer Begeisterung regelmäßig durch Klatschanfälle und Jubelfinger Ausdruck. Sie lächelt so häufig, dass es einen beinahe schockiert, sie mit finsterer Miene zu sehen. Caroline ist in ihrer Familie das jüngste von vier Mädchen, von denen jedes auf seine Art gewissermaßen eine Ikone der Noank High war. Ihre Schwestern, der Reihenfolge nach von der Ältesten zur Jüngsten: Charlotte, Corrine und Christy. Ihre Eltern sind Camille und Colin. Die ganze Familie ist tief katholisch. Sie sind das Paradebeispiel des amerikanischen Traums. Jedes Jahr verschicken sie
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