Manche Maedchen muessen sterben
wirklich gute Tänzerin, auch wenn ich von der Vorschule bis zum Ende der sechsten Klasse Stunden nahm. Beim Ballet vergaß ich immer die Schritte, und die komplizierte Stepp-Choreographie habe ich nie wirklich hinbekommen.
Es ist unglaublich, mich selbst als so junges Mädchen zu sehen. Ich trage ein eng anliegendes weißes Unterhemd und rosa Pyjamahosen, auf die – was sonst? – weiße Ballettschuhe aufgeprägt sind. In meinen Gesichtszügen liegt eine Weichheit, die mittlerweile längst vergangen ist, in meinen Teenagerjahren ersetzt durch ein kantiges Kinn und hohle Wangen. Ich habe keinen Busen; vermutlich besitze ich zu jener Zeit noch nicht einmal einen Sport-BH. Mein langes, blondes Haar ist auf eine einheitliche Länge geschnitten und fällt locker über meine Schultern, ohne den geringsten Hinweis auf Strähnen, um mein Gesicht zu umrahmen. Ich beobachte mich, wie ich mich stumm im Raum umsehe, bevor ich meine bloßen Füße auf den Boden setze und meine Handflächen gegen meine geröteten Wangen presse. Ich kann nicht umhin zu lächeln, als mir auffällt, dass meine Zehennägel durchweg makellos und in einer dunklen, niedlichen Rosaschattierung gehalten sind.
So unschuldig mein jüngeres Ich auch erscheinen mag, es ist offensichtlich, dass ich einen Alptraum hatte; meine Stirn ist vor Unruhe gerunzelt, und ein oder zwei Minuten lang schaue ich mich bloß im Zimmer um und starre meine ganzen Sachen an, als wüsste ich nicht, was ich mit mir anfangen soll.
Dann schleicht sich mein jüngeres Selbst aus dem Zimmer, auf Zehenspitzen, wie um nicht zu viel Krach zu machen. Ich folge mir selbst durch die Tür und rechts den Gang hinunter, bis zu der Stelle, wo mein jüngeres Ich vor Josies Zimmer stehengeblieben ist.
Ich klopfe nicht an. Ich öffne einfach die Tür und gehe rein. Jetzt setze ich mich behutsam auf ihre Bettkante und lege eine kleine Hand auf ihre schlafende, auf der Seite liegende, zu einem Ball zusammengerollte Gestalt.
»Josie«, flüstere ich und schüttle sie ein wenig. »Hey, Josie.«
»Mmm.« Sie rollt sich auf den Rücken und schaut blinzelnd zu mir auf. Ihre eigene Nachttischlampe ist an; Josie hat die Dunkelheit nie gemocht. Selbst jetzt, mit siebzehn, schläft sie mit einem Nachtlicht. »Hey, Liz«, sagt sie lächelnd und gähnt, um zwei Reihen Metallspangen zu enthüllen. »Was ist los?«
»Ich hatte einen bösen Traum.«
Sie streckt den Arm nach mir aus, nimmt meine Hand und drückt sie.
Als ich uns beide zusammen sehe, überkommt mich eine ungeheure Sehnsucht nach jenen Tagen, nach der herrlichen Unwissenheit der Kindheit. Mit zehn oder elf wussten wir, dass wir für immer die besten Freundinnen sein würden. Im Licht von Josies Zimmer sehe ich, dass wir beide unsere Armbänder mit den halben Herzen tragen; erst ein paar Jahre später kamen wir zu dem Schluss, sie seien uncool und müssten daher versteckt werden.
»Hier«, flüstert Josie und zieht ihre Decke zurück. »Komm drunter.«
Mein jüngeres Ich klettert zu meiner Stiefschwester ins Bett. Ich schlinge meine Arme um ihre Taille und lege meinen Kopf neben den ihren, aufs selbe Kissen.
Eine Weile sagen wir nichts, sondern liegen einfach nur mit geschlossenen Augen zusammen da. Ich bin beinahe so weit, mich in die Realität zurückzublinzeln, als Josie flüstert: »Hab dich lieb, Liz.«
»Ich hab dich auch lieb«, flüstert mein jüngeres Ich.
»Schwestern«, murmelt Josie. »Für immer.«
»Für immer«, wiederhole ich, während wir einander festhalten.
So könnte ich uns die ganze Nacht beobachten, doch nach einigen Sekunden wird deutlich, dass wir bloß schlafen. Es ist Zeit, in die Gegenwart zurückzukehren. Mein Herz, das in meiner Brust nicht schlägt, sehnt sich so sehr nach jenen Tagen zurück. In diesem Alter hatte ich bereits meine Mutter verloren; damit war meine Unschuld dahin, doch das Leben war trotzdem noch voller Hoffnung, voller neuer Anfänge. Ich hatte eine neue Familie. Ich hatte nach wie vor einen Vater. Die Zukunft lag offen vor mir.
Ich schließe die Augen, kneife sie so fest zusammen, wie ich kann, in dem Versuch, das Verlangen auszulöschen, das von dem gerade Beobachteten geweckt wurde. Als ich meine Lider wieder öffne, steht Alex neben mir, der mich mit einer Mischung aus Neugierde und Langeweile anschaut.
»Da bist du ja wieder«, sagt er. »Wo warst du?«
Ich ignoriere die Frage. »Ich will hier weg«, sage ich zu ihm. Mit einem Mal kann ich es nicht mehr ertragen, mich in meinem
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