Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
Vom Netzwerk:
die Augen, presse meine Handflächen gegen die Lider. Da ist ein wildes Durcheinander von Erinnerungen, beinahe gewaltsam hintereinandergezwungen: meine Mutter auf dem Badezimmerfußboden. Mein erster Cross-Country-Wettkampf, komplett mit den Überresten der Schmetterlinge in meinem Bauch. Mein eigener Körper, so, wie ich ihn in der Nacht meines Todes sah, hilflos zwischen dem Boot und dem Pier eingeklemmt. Ich liege mit Caroline, Mera und Josie am Strand; wir hören uns die Top-40-Musikcharts an und arbeiten an unserer Bräune. Und Luft, die frisch und klar meine Lunge füllt, als ich mich daran erinnere, wie ich durch die Stadt laufe, während meine Füße mit einem Tschlat-Tschlat-Tschlat -Rhythmus auf den Boden trommeln, der sich wie ein Herzschlag anfühlt, lebensbejahend und kräftig. Der Schweiß, der mir immer von der Stirn troff und in den Augen brannte. Ich kann Salz schmecken: von der Luft um mich herum, auf meinen Lippen getrocknet, die immer leicht geöffnet waren, wenn ich lief.
    Ich wollte ewig weiterlaufen. Tschlat-Tschlat-Tschlat. Jetzt wird mir bewusst, dass ich einfach abhauen wollte. Ich wollte mich so verirren, dass mich niemand jemals findet. Ich wollte so weit weglaufen, dass ich den Weg nach Hause niemals wiederfand. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, warum.

12
    Wir kehren zu meinem Elternhaus zurück; nach den Erinnerungen, die wir gerade miteinander geteilt haben, und dem Gespräch, das wir hatten, sind wir beide schweigsam und ernst. Es ist Abend, die Straßenlaternen leuchten und erhellen den von der kühlen Nachtluft erzeugten Dunst, während wir die Stufen meiner vorderen Veranda hochsteigen. Der Schmerz in meinen Zehen ist so intensiv, dass ich kaum gehen kann. Ich bin nicht nach Hause gelaufen; Alex und ich haben uns einfach auf magische Weise hierhergeblinzelt, doch nun durchfährt bei jedem einzelnen Schritt ein glühender Stich meine Füße, so unerträglich, dass ich schließlich völlig atemlos bin und mir die Tränen in den Augen stehen, als wir endlich bei meiner Zimmertür anlangen.
    Die Tür ist geschlossen, doch bevor wir hindurchtreten, kann ich auf der anderen Seite Stimmen hören, die ich sogleich als die meiner Freundinnen erkenne: Mera, Caroline und Josie.
    »Denkst du, sie sind hier, um sich noch mehr Klamotten zu holen?«, fragt Alex. Ich merke, dass er versucht, beiläufig zu klingen, doch die Bemerkung sticht. Nachdem ich Zeugin der unglaublichen Zurschaustellung von Trauer in seinem Elternhaus war, kann ich nicht umhin, ein bisschen angefressen zu sein, weil sich meine Freundinnen nach meinem Tod so rasch wieder gefangen haben.
    »Ich weiß nicht. Vermutlich.« Ich betrachte die Tür meines Zimmers. »Schauen wir mal.«
    Als wir eintreten, keuche ich auf. Innerhalb weniger Stunden wurde mein Zimmer fast vollständig ausgeräumt. Das niedliche, rosa-weiß gestreifte Bettzeug wurde abgezogen; alles, was noch übrig ist, sind die nackte Matratze und der Matratzenfederrahmen. Auf dem Schminktisch ist kein Make-up mehr verstreut, und der Kleiderschrank, dessen Tür aufsteht, ist praktisch leer. Meine Siegesschleifen und Abzeichen vom Cross-Country-Laufen wurden irgendwo anders verstaut und setzen wahrscheinlich im Keller Staub an – oder, noch schlimmer, wie ich finde, auf einer Mülldeponie. Das Einzige, was noch von meinem Leben übrig ist, ist der Haufen alter Lauf schuhe. Schon komisch; man würde doch eigentlich annehmen, dass die als Erstes entsorgt werden würden. Vermutlich sehen alle anderen Angehörigen meiner Familie darin nichts weiter als Müll. Ich frage mich, warum sie noch hier sind.
    Auch meine engsten Freundinnen sind hier. Die drei sitzen in einem Halbkreis auf dem Fußboden, um ein Ouija-Brett herum. Und ich muss sie nur ansehen, um zu erkennen, dass sie betrunken sind. Das weiß ich, noch bevor ich Caroline hicksen höre. Noch bevor ich die fast leere Flasche Rotwein sehe, die neben Josie steht.
    »Josie …«, murmelt Mera, offensichtlich widerwillig. Ihre Wangen sind vom Alkohol gerötet. Ihre Lippen sind dunkelrot befleckt. »Das ist ziemlich schräg.«
    »Ist schon okay«, sagt Josie und legt Mera eine Hand auf den Arm. Mir fällt sofort auf, dass Josie eins meiner Lieblingsoutfits trägt: schwarze, hautenge Jeans und einen knappen roten Pulli. »Meine Mom hat mich heute Morgen mit in die Kirche genommen. Ich weiß, wie das funktioniert. Die halten dort ständig Séancen ab.«
    »Mit einem Ouija-Brett?« Mera ist skeptisch.
    »Nein,

Weitere Kostenlose Bücher