Manche Maedchen raechen sich
Fernandes.
„Stimmt es, dass letzte Nacht jemand auf eurem Grundstück randaliert hat?“, fragte Marianne mit todernster Miene.
„Ja“, antwortete Neil. „Meine Eltern mussten die Polizei rufen. Immerhin wurde ja unser Eigentum beschädigt. Ich hatte wirklich Angst um mein Leben.“
Die beiden plauderten vollkommen unbeschwert, was vermutlich daran lag, dass sie viermal die Woche den Chemieunterricht in trauter Zweisamkeit verbrachten. Sie gingen so ungezwungen miteinander um wie Geschwister. Oder wie Seelenverwandte.
Marianne schüttelte empört den Kopf. „Wozu gibt es Ausgangssperren, wenn sie einfach missachtet werden? Ich persönlich denke ja, daran sind die Eltern schuld.“
„Nein, es liegt an den Kindern“, widersprach Neil. „Die Jugendlichen heutzutage haben keinen Respekt mehr vor Regeln. Zu meiner Zeit war das noch ganz anders, Marianne, während des Krieges. Damals hätten die Kinder eine ordentliche Tracht Prügel bezogen.“
„Da muss ich dir absolut zustimmen“, sagte Marianne, ohne mit der Wimper zu zucken.
Ich dachte immer, Marianne würde die perfekte Serienmörderin abgeben. Das denke ich heute nicht mehr. Heute weiß ich, dass es auch Marianne treffen kann, genau wie jede andere von uns.
„Ich habe gehört, dass es ein ganz gezielter Angriff auf dich gewesen sein soll, stimmt das?“
„Sie wollten mich töten. Ich musste dem Polizisten das leere Glas zeigen, mit dem ich versucht hatte, die Angreifer in die Flucht zu schlagen. Marianne, ich glaube, das war eines jener Verbrechen, die aus purem Hass begangen werden.“
„Konntest du die Täter erkennen?“
„Nein, ich habe nur ihre Schatten gesehen. Sie waren zu schnel l – flink wie Katzen, könnte man sagen“, antwortete Neil, stützte sich mit dem Kinn auf den Handrücken und grinste Marianne an.
„Ah ja“, sagte sie und hob eine Augenbraue. „Was ist mit deinen Eltern? Haben sie etwas gesehen?“
„Sie haben eine Gruppe von vielleicht drei, höchstwahrscheinlich aber vier männlichen Jugendlichen gesehen, die die Flucht ergriffen. Das haben sie zumindest der Polizei erzählt, soweit ich weiß.“
„Vier männliche Jugendliche sagst du?“, fragte Marianne scheinbar überrascht. „Wie viele Banden gibt es hier, die aus vier männlichen Mitgliedern bestehen? Ich denk e … keine.“
Was zum Teufel sollte das? Nur für den Fall, dass die beiden es vergessen hatten: Das hier war nicht der Chemiekurs, sondern Psychologie, und ich war auch noch da! Hallo?
„Hallo? Können Sie mich hören?“
Mein Kopf ist schwer wie Blei. Es fühlt sich an, als würden meine Finger, meine Hände, meine Arme, meine Bein e – als würde mein ganzer Körper von Gewichten nach unten gezogen werden.
Ich bin also nicht tot. Ich liege irgendwo. Ich will die Augen nicht öffnen, aber ich muss wissen, in welcher Hölle ich aufgewacht bin.
Das Erste, was ich sehe, ist die nackte Zimmerdecke aus Beton. Dieser Anblick genügt mir. Ich mache die Augen schnell wieder zu.
„Versuchen Sie sich so wenig wie möglich zu bewegen“, sagt eine Frauenstimme über mir. „Wenn es nicht anders geht, bewegen Sie sich langsam.“
Ich versuche, mich auf die Ellenbogen zu stützen. Ich sinke ein und die durchgelegene Matratze unter mir ächzt.
Ich liege auf irgendeinem widerlichen, alten Bett in einem noch viel widerlicheren Raum. Es gibt ein Waschbecken und einen Plastikstuhl, der neben meinem Bett steht. Die Leuchtstoffröhren an den Wänden tauchen alles in grünliches Licht. Ich betrachte meine Handgelenke, doch ich kann meine Venen nicht sehen.
Wie viele Verbrecher, Junkies und Schnapsleichen lagen wohl schon vor mir hier? Gehöre ich in ihren Augen jetzt auch dazu?
Es ist die Jugendbetreuerin, die mit mir gesprochen hat. Ich will schreien, dass sie verschwinden soll, aber mein Hals ist viel zu trocken und ich bekomme bloß einen Hustenanfall.
Sie drückt mir ein Glas Wasser in die Hand. Ich nehme einen Schluck und will ihn ihr am liebsten ins Gesicht spucken. Igitt. Leitungswasser.
Ich würge das Zeug lediglich runter, weil ich mich sonst zu Tode husten würde.
„Deiner Freundin wird es bald wieder besser gehen. Sie ist jetzt in einer Privatklinik. Die Schnittwunden waren nur oberflächlich.“
„Mit oberflächlichen Dingen kennen Sie sich aus, was?“, erwidere ich schnippisch.
Sie sieht mich an, verkneift sich aber einen Kommentar.
Ich schenke ihr mein falschestes Lächeln und trinke noch einen Schluck. Ich frage mich, ob dieses
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