Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte
etwa mein Alter und Bulimikerin. Sie weiß also ziemlich gut, wie schwer das ist mit dem „abstinenten Essen“ klar zu kommen. Mit ihr darf ich 15 Minuten reden. Wer am Abend kommt, weiß ich noch nicht, mal sehen, hoffentlich noch so eine liebe Person, schließlich ist das mein einziger Kontakt zu draußen! Außerdem soll ich an meine Tür eine Liste hängen, in die sich jeder, der Lust hat mit mir spazieren zu gehen, eintragen kann.
Gabriele hat mir schon angedroht, dass mir der Spaziergang gestrichen wird, wenn ich nicht zunehme!
Beim Wiegen jeden Morgen soll ich mich rückwärts drauf stellen, damit ich gar nicht so genau sehen kann, wie`s wieder rauf geht und es für mich nicht so schwer ist. Oh Mann, komplette Kontrollaufgabe!!
Mir geht’s grad gar net gut, ich sitz einfach hier rum, fühl mich so vollgefressen, mein Bauch ist `ne einzige Kugel und außer Warten aufs nächste Essen gibt’s nichts zu tun. Bin nur noch am Heulen, werd jetzt Enigma hören und einfach alles raus heulen, vielleicht geht’s dann besser...
Ich fass es nicht, nur weil ich meinen Teller nicht aufgegessen habe beim Abendessen, hat mich die blöde Schnalle von Schwester voll dumm angemacht! Ich solle doch aufessen, für was wäre ich denn sonst hier, bla bla!!!
Ok, ab heute entsorge ich den Rest eben einfach im Klo! Selber Schuld!
Gute Nacht!
13.03.1997
Eine Woche ist rum und es ist ein verdammter Kampf! Ich habe bisher 1,2 Kilo zugenommen und seit ich das weiß, krieg ich keinen Bissen mehr runter. Am liebsten würd ich alles ins Klo spülen!
Heute hatte ich mein drittes Einzelgespräch mit Gabriele.
Bei den ersten beiden Gesprächen hab ich hauptsächlich erzählt, wie es mir bis hierhin ergangen ist, wie ich so zu meinen Eltern stehe, so die oberflächlichen Daten. Aber heute ging`s wirklich zur Sache, die Frau ist echt gut! Ich glaube, sie hatte früher auch Magersucht, zumindest weiß sie genau, von was sie spricht. So was merkt man einfach, ob jemand nur angelesenes Wissen aus Schulbüchern hat, so wie der Nervenarzt bei dem ich war, oder ob einer wirklich weiß, von was er da redet, weil er das selber mitgemacht hat. Ich hab Kristin gefragt, sie glaubt das auch, wir sind nämlich beide bei ihr und sie ist genauso begeistert.
Also, wir haben jedenfalls uns so unterhalten und es ging ums Essen und warum ich nicht aufesse, warum ich mein Essen, das ich bekomme, ins Klo runterspüle.
Wow, diese Kritik hat mich gleich zum Weinen gebracht! Seit wann bin ich eigentlich so empfindlich? Bei der kleinsten Kritik fall ich zusammen, weil ich doch nur das liebe brave angepasste Mädchen sein will, das alles richtig macht! Ich ertrage es nicht, wenn ich etwas falsch mache! Da ist mir klar geworden, dass ich komplett aufgehört habe, für mich einzustehen! Es geht ums NEIN sagen. Ich kann das nicht mehr! Ich rede nur noch mit dem Strom, habe keinerlei eigene Meinung mehr!!! Wann hat denn das angefangen? Ich weiß noch nicht einmal mehr, was meine Meinung eigentlich ist!!! Ich habe keine mehr!!!
Wir haben darüber gesprochen, und Gabriele meinte, vielleicht ist das Nein zum Essen mein einziges Nein, weil ich es ansonsten nie tue, dass ich mich mal weigere, dass ich mich mal für mich einsetzte, ist dieses Nein zum Essen immer stärker geworden. Und dass ich endlich anfangen sollte, in meinem Leben, im Kontakt mit Anderen, nein zu sagen, bei mir zu bleiben, nicht immer den anderen Recht geben, sondern fühlen, was ich möchte und dazu zu stehen! Früher konnte ich das doch auch, da war ich Klassensprecher, hab mich für andere eingesetzt, für mich... aber jetzt?
Ganz spontan ist mir dazu eingefallen, dass mein letztes Nein das zum Reitlehrer war! Da war ich noch stark und hab ihm ins Gesicht gesagt, dass er aufhören soll, uns anzufassen!! Aber das Leben ist eben kein Wunschkonzert und mein Nein ist voll nach hinten losgegangen! Es ist genau das passiert, vor dem ich doch so Angst habe: Ich war bei allen unten durch, ich war der Arsch und während er ohne irgendeine Konsequenz als Reitlehrer weitergemacht hat, bin ich aus dem Stall gegangen, weil die Stimmung gegen mich nicht auszuhalten war.
Ich hab also verdammt nochmal schon einen guten Grund, nicht mehr nein zu sagen, oder?
Aber so läuft es manchmal im Leben, ich darf mich deshalb nicht unterkriegen lassen. Wenn ich also ganz langsam wieder anfange, für mich einzustehen, sei es bei Jungs, wo ich eben, auch auf die Gefahr hin, dann abgelehnt zu werden,
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