Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte
leid, immer nur für Andere da zu sein.
Thomas kam in der Gruppe mit einem Buch über Borderline an und ist jetzt völlig überzeugt, dass er das ist. Ich leih mir das mal aus, irgendwie klingt da vieles nach mir. Mann, es ist echt schlimm, irgendwie schau ich mir nur Blödsinn ab.
Vor drei Tagen hab ich mich auch geritzt und Scheiße, es war richtig gut! Wenn das Blut dann so in dicken Tropfen den Arm runter fließt... und der Schmerz in mir tatsächlich aufhört, weil ich mich voll und ganz auf die Schnitte konzentriere und den Schmerz, der dort gerade entsteht. Das ist real, nicht so verwirrend wie meine innere Qual, mein Elend wegen nichts!
Aber ich hab noch eine bessere Methode gefunden, um mich abzureagieren. Ich weiß nicht wo diese ganze Wut herkommt und das macht mir wahnsinnige Angst. Lachen, Weinen, Freude, Leid, Schmerz, Melancholie, alles das kenn ich und kann es auch zulassen. Aber Wut? Aggression? Ich doch nicht! Jedesmal merk ich, wie ich dann lieber das Weinen anfange, wie ich statt wütend zu sein, weil mich etwas ärgert, mir die Wut abspreche und in Opferhaltung gehe. Aber in letzter Zeit drückt diese Aggression durch. Und als ich gestern durch den Park gelaufen bin, da war ich wieder so wütend auf mich, auf Miri, auf mein scheiß Leben, vor allem aber, dass ich hier drinnen bin, nicht weiterkomme, voll versage... da hab ich mit voller Kraft meinen Arm, also da am Handgelenk, gegen einen Baum geschlagen. Das tut mal ordentlich weh, ich hab dann noch dreimal weiter geprügelt und dann noch gegen eine Häuserwand, was noch besser kommt. Ich hab diesen Schmerz so gebraucht, um dann zu sehen, wie die Hand, das Handgelenk und der Unterarm blau werden und dick, das tat gut! Als hätte ich das verdient! Ganz eigenartig. Aber die Wut war weg.
Jetzt habe ich noch mehr Angst vor meiner Wut, weil sie so mächtig ist, so heftig, so unkontrollierbar. Was ist, wenn ich noch mehr solche Anfälle habe? Was tu ich mir beim nächsten Mal an? Trotzdem bin ich erst am Abend zu den Schwestern gegangen und habe darüber geredet. Viel helfen konnten sie mir auch nicht, aber gut, ich habe zumindest darüber geredet. Das ist eine Seite an mir, die ich gar nicht mag. Ich will nicht böse und aggressiv sein. Das nette kleine magersüchtige Mädchen war mir lieber!!! Was kommt da noch alles hoch?
10.05.2000
Fast zehn Tage habe ich es jetzt geschafft, nicht zu fressen und zu kotzen. Ist nicht so einfach, wenn Emma neben mir futtert, aber es geht, ich fühl mich mittlerweile gut, wenn ich es nicht brauche und helfe ihr dann, aufzuräumen oder nehm sie in den Arm, wenn es ihr schlecht geht.
Meine Eltern waren da an Ostern, wir haben einen Spaziergang gemacht, es war schön, aber verspannt, weil sie immer mehr den Bezug zu mir verlieren und ich nicht mehr das liebe Mädchen bin, das sich schuldig und schlecht fühlt. Ich sage mehr, was ich denke und das ist, glaub ich, nicht immer leicht zu ertragen. Aber ich muss es üben, ich muss endlich lernen, für mich zu sprechen und auch mal Ecken und Kanten zu zeigen. Es tut mir ja auch schrecklich leid, aber diese Opferhaltung bringt mich nicht weiter. Ich muss zu mir stehen, auch zu meinen Fehlern.
Ansonsten passiert nicht viel, das Übliche und es nervt total, dass der Therapeut, mit dem ich über meine berufliche Zukunft sprechen will, ständig keine Zeit hat.
Ach so, ja, wir haben einen neuen Therapeuten für unsere Gruppe. Bis jetzt war keiner so richtig zuständig, weil sie wohl niemanden gefunden haben, aber jetzt ist einer da, Herr Ludwig. Ach Gott ist der süß! Frisch von der Uni, mit langen Haaren zum Pferdeschwanz gebunden und mit süß meine ich goldig, also nicht sexy oder gutaussehend. Der ist so naiv, mit all seinem Uni-Wissen ausgestattet, hat aber keine Ahnung von dem, was hier abgeht. Keine Ahnung, ob das gut geht, wir sind ein Haufen echt harter Brocken. Ich hab`s sogar geschafft, dass ich eineinhalb Stunden Einzelgespräch bei ihm hatte!!! Ja ich kann ein Biest sein, aber es war so goldig, wie er immer wieder meinte, eigentlich wäre ja jetzt Schluss, aber naja, es würde ihn schon sehr interessieren, was ich da so erlebt habe. Als ich dann mit meinen Männergeschichten angefangen habe, hat er die Zeit komplett vergessen. Normal ist eine halbe Stunde!
Ich fand`s lustig und Miri hat es dann auch versucht, war aber nach einer Stunde wieder draußen. Es ist ja mal lustig, aber ehrlich gesagt habe ich Angst, dass er mich nicht im Griff hat. Es
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