Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte
Wem versuch ich eigentlich was vorzumachen? Jeden Tag red ich mir ein, morgen nicht, da mach ich was anderes. Und dann geht das Ganze wieder von vorne los. Aber ich darf jetzt nicht darüber nachdenken, denn sonst werd ich wieder depressiv und dann kotz ich erst recht. Also auf, zweite Runde, die ist eh nicht so groß wie die erst, da futter ich jetzt den Rest, das reicht mir dann schon, immer nur der erste Fressanfall am Tag ist so wahnsinnig viel, da muss der ganze Stress des Tages einfach abgearbeitet werden. Jetzt bei der Runde ist es die Unfähigkeit, etwas Besseres zu tun, wirklich Lust hab ich ja gar nicht. Aber was soll ich sonst tun? TV Schauen geht nur mit dabei essen. Und ich habe Hunger. Also weiter geht’s.
Heute hab ich echt Glück, auch diesmal ist alles gut rausgegangen. Ich wiege 46 Kilo, alles gut von der Seite her. Und es ist jetzt auch spät genug zum Schlafen. Wunderbar, ich bin eh so fertig, dass ich nichts anderes mehr brauche. Zähne putzen, das ist wichtig, eine Gute-Nacht-Zigarette auf dem Balkon, dann ab ins Bett. Morgen geht’s genauso weiter.
Am Wochenende fuhr ich meistens in meine Heimatstadt und versuchte, so oft es ging, Thomas zu sehen, es hatte sich nicht viel geändert. Ich sah ihn nur öfter, weil ich Dank Peter wusste, was er so trieb.
Ich hatte wieder mit Abführmitteln angefangen und ich weiß noch, wie ich das Mittel schon geschluckt hatte, um auch noch den Rest Essen rauszuholen, der eventuell noch drinnen geblieben war, als Thomas mich fragte, ob ich in den Apfelbaum kommen würde.
Es war Samstag und klar wollte ich!
Der Abend war schön und endete bei ihm. Da fingen die Abführmittel an zu wirken.
Wieder mal so ein Tiefpunkt in meiner Suchtkarriere! Wir waren ja zum Glück schon mit allem fertig, aber wie erklärt man seinem Liebhaber, der sich ansonsten für nichts anderes an dir interessiert, warum man sechs Mal hintereinander aufs Klo rennen muss?
Ich weiß noch, wie ich beim letzten Mal dasaß, und er plötzlich im Bad stand. Er war ehrlich besorgt, was ich echt süß fand, aber es war so schrecklich peinlich!
Das andere Peinliche in der Zeit war meine Müllentsorgung. Ich hatte jeden dritten Tag einen gelben Sack voll! Ich wußte ja schon gar nicht mehr, wo ich den ganzen Abfall hintun sollte. Also stapelte ich alles auf meinem Balkon, bis einmal im Monat die Müllabfuhr kam. Und dann musste ich meine 10 oder 11 gelben Säcke alle unten hinstellen. Keine Ahnung, was die Mitmieter in dem Haus gedacht haben, aber ich fühlte mich furchtbar. Ich dachte immer, jeder wüsste, was ich da so trieb und fühlte mich ertappt, wenn ich täglich mit vollen Einkaufstaschen die Treppe hoch lief. Dieses Gefühl hatte ich eigentlich immer. Ständig dachte ich, jeder wüsste, was ich nach der Arbeit allein in meinem Zimmer tat und fühlte mich häufig beobachtet. Also war wohl ein Teil von mir zumindest noch nicht so abgestumpft wie ich immer annahm.
Und dann kam der Tag, an dem mein Klo verstopfte.
Ich weiß nicht, was an dem Tag anders war, aber das war eine meiner Horrorvorstellungen. Kloverstopfung oder irgendwann beim Kotzen umzukippen und so gefunden zu werden, diese zwei Dinge rangierten ganz oben auf meiner Panikliste. Abgesehen von Platz eins, dem Horror wenn alles was ich essen würde nicht rausgehen würde und ich vollgefressen den gesamten Mageninhalt verdauen müsste (Davon träume ich übrigens heute noch. Da stopf ich mich im Traum unendlich voll und kann dann nicht kotzen! Der Albtraum einer Bulimikerin).
An einem Tag also ging nichts mehr, das Klo war verstopft und ich noch nicht fertig mit dem Kotzen. Dazu muss ich erklären, dass ich eigentlich öfters mal zwischendurch spülte, damit eben nichts verstopfen konnte. Aber gut, an dem Tag war es also so weit. Ja, ich habe weiter gekotzt, auch wenn das dann nicht mehr herunter zu spülen ging.
Der Kloreinigungsdienst kam erst am nächsten Tag. Es war noch früh am Nachmittag und allein bei der Vorstellung, wie peinlich das werden würde, hab ich soviel Druck aufgebaut, dass ich gleich noch einen Fressanfall gebaut habe. Der Rohrdienst hatte einige Fragezeichen im Gesicht, als er mit meinem Klo fertig war und es war einfach nur total peinlich! Aber auch das verdrängte ich mal wieder erfolgreich. Das sind die Momente, bei denen man für sich dann merkt, wie krank man eigentlich wirklich ist. So, wie ich auch nach dem Entfernen zweier meiner Weisheitszähne, trotzdem am selben Tag noch gefressen und gekotzt
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