Mandels Buero
Tilmann patzig.
Der Schredder zählte ein und fing an zu spielen. Ohrenbetäubend.
»Schredder!«, brüllte der Tilmann ins Mikrofon, und der Schredder hörte auf.
»Jetzt«, sagte der Tilmann ins Mikro und nickte dem Schredder zu. Der zählte noch mal bis vier, und dann spielten alle gleichzeitig. Anzunehmen, dass das so gehörte. Der Mandel setzte sich auf den Tisch neben das Mischpult bei der Eingangstür und nahm einen Schluck aus der Bierflasche. Es war ein holländisches Bier. Dann holte er aus seiner Umhängetasche den Fotoapparat heraus und schoss ein paar Fotos. Er stand auf und ging näher auf die einzelnen Bandmitglieder zu, damit er detaillierte Aufnahmen machen konnte. Der Tilmann knöpfte sein schwarzes Hemd auf. Es war tatsächlich ziemlich warm jetzt mit der lauten Musik, der Mandel zog seinen zu jugendlichen schwarzen Mantel aus. Der Schredder spielte auch oben ohne, soweit man das von da unten beurteilen konnte, und der Kretschmann trug ein schwarzes Unterhemd, das seinen Bierbauch betonte. Nur der Kai Bartels musizierte in einer Wolljacke und mit einem schwarzen Schal um den Hals.
Der Tilmann war unkonzentriert, vergaß den Text, wirkte gelangweilt, sobald ein Instrumentalteil folgte. Wenn er den Fotoapparat vom Mandel auf sich gerichtet sah, verfiel er in ein paar Posen, aber von Herzen kam das nicht. Der Schredder haute hinter seiner Burg alles kaputt, als bekäme er im Anschluss ein neues Schlagzeug geliefert. In den Ohren vom Mandel klang das alles nicht besonders homogen. Als normaler Mensch hätte man es vielleicht nicht bemerkt, aber der Mandel war ein Fuchs, wenn eine Band nicht homogen war. Immer ein beliebter Kritikpunkt bei den Konzertberichten vom Mandel früher. Andere Musikjournalisten sagten auch »tight«, der Mandel nannte es homogen.
Später saß der Mandel mit der Band in einem Café am Chamissoplatz, gleich da, wo er auch wohnte, weil das war ja alles wiederum in der Nähe vom alten Flughafen.
»Du hast mit dem Leo die Band gegründet, oder?«, fragte der Mandel den Kai Bartels.
»Ja. ’85«, sagte der Kai Bartels.
»Bullshit. ’84«, sagte der Tilmann.
Der Kai Bartels seufzte und kraulte seinen grauen Bart. Der Kretschmann lümmelte in seinem Stuhl und schien an etwas anderes zu denken. Der Schredder schaute gut gelaunt in die Runde, als würde er auf die Pointe warten.
»Erzähl mal«, sagte der Mandel.
»Ach, das hast du doch sicher schon tausendmal gehört«, sagte der Kai Bartels. Es war freundlich gemeint.
»Jetzt erzähl’s, du Langweiler«, sagte der Tilmann.
Der Mandel schaute den Kai Bartels mit seinem Interviewblick aufmerksam an. Das konnte der Mandel sehr gut, das muss man ihm lassen. Da wirken seine Augen ganz sanft und väterlich, und man kann gar nicht anders, als ihm urplötzlich alles zu erzählen. Dem Mandel haben die Musiker tatsächlich immer aus der Hand gefressen. Nicht nur, weil er genug vom Fach verstand, sondern auch wegen dem väterlichen Blick. Der Interviewblick, so nenn ich ihn. Dieser Erzähl einfach, es wird dir guttun -Blick. Auch am Bartels ging der Interviewblick nicht spurlos vorüber.
»Na gut. Draußen auf dem Land. Da war ja nichts. In Everswinkel, meine Güte, am Rand der Welt. Der Name sagt ja schon alles. Selbst ein Kaff wie Gütersloh ist eine Ewigkeit, wenn du nur ein Moped hast. Und dann die Leute. Die eigenen Eltern waren ja schon wieder okay, aber die Älteren, wer weiß, wie viele Altnazis da noch unbehelligt durch die Gegend schlichen. Und nur die Partys in dem alten Bauernhof an der Everswinkeler Straße konnten einen von dem Elend erlösen. Und der Suff natürlich. Weil mit sechzehn, wenn du noch kein Auto hast, das ist die Hölle, du kannst nirgendwohin. Noch nicht einmal ins Kino. Auf dieser einen Party, da war Leo auch. Und Leo natürlich damals schon immer auf hundertachtzig. Von der Freien Waldorfschule kam der. Glaubt man nicht, aber so eine gibt’s bei uns. Und Leo, immer am Machen. Wir sind auf der Party mit einer Band aufgetreten. Deep-Purple-Coverversionen, Whitesnake, »Still Of The Night« und so weiter. Teilweise auch Hendrix. Ich hab Gitarre gespielt, und Leo, besoffen wie ein Pferd, rennt mitten im Auftritt auf die Bühne und reißt Uli, unseren Sänger, zu Boden. Der Uli stößt sich so den Kopf auf dem Boden, dass er blutet. Für die Leute kein Problem, weil Uli mochten sie eh nicht mit seinem Oberschülergetue, aber Leo war damals schon genau die Hackfresse, die du kennen musstest.«
Der
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