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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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und so atmete er nur einmal tief durch und richtete
sich wieder auf.
    Walter sah, wie ein kämpferisches Glitzern in Keneallys Augen aufblitzte,
und glaubte für einen Augenblick, der sichere Verlierer eines ehrlichen Kampfs
unter Männern zu werden, doch das Glitzern verschwand schnell, und Keneally
fragte: »Wofür war das denn, Walter?«
    »Ich erlaube niemandem, mich herumzuschubsen«, entgegnete Walter. Er
kam sich ein wenig albern und altmodisch vor, fügte aber hinzu: »Nicht mal
durch Stellvertreter.«
    Keneally nickte. »Die Jungs haben Ihnen ein ganz schönes Veilchen
verpaßt, nicht wahr?“
    »Es war auch für Marta.“
    »Okay.«
    »Und Madeleine.«
    »Mein Gott, sonst noch was?«
    »Ich denke, das wird genügen.«
    »Nun, ich vermute, ich habe es nicht anders verdient«, sagte Keneally.
Er trat zum Spiegel und zupfte seine Krawatte zurecht. Er blickte sich prüfend
an und sagte: »Sie sollten sich aber wirklich überlegen, ob Sie nicht ins zwanzigste
Jahrhundert eintreten wollen, Withers.«
    »Dieses Jahrhundert taugt nicht viel,« sagte Walter, als er zur Tür
hinausging. »Aber ich werde darüber nachdenken.«
    Er beschloß, mit dem Nachdenken unten in Peacock Alley anzufangen, der
dunklen Klavierbar, die perfekt zu seinem europäischen Geschmack paßte. Er
bestellte einen Whiskey, setzte sich neben den Steinway und steckte eine
Fünfdollarnote ins Glas.
    »Glückliches neues Jahr, Norman«, sagte er zu dem Pianisten.
    »Auch Ihnen ein glückliches neues Jahr, Walter«, erwiderte der
Pianist. »Gibt es etwas, was Sie gern hören würden?«
    »Was von Cole Porter.«
    Dann setzte sich Walter und lauschte fast mit Verzückung, als Norman
auf dem Flügel Cole Porters ein Medley von dessen großen Songs spielte.
    Nur in New York, dachte Walter. Nur
in New York.
     
    Städte wechseln das Geschlecht, wenn die Sonne untergeht.
    So dachte Walter jedenfalls, als er auf der 46. Straße an der Ecke Broodway stand und downtown in Richtung
Times Square blickte. Am Tag war die Stadt männlich, ein grauer,
hartgesottener, gehetzter Geschäftsmann. Doch nachts war sie eine Dame mit
einem schwarzen Samtkleid und einer Halskette aus funkelnden Lichtern. Die
Lichter blendeten: Der Anblick beschleunigte unfehlbar seinen Puls, brachte
sein Blut in Wallung und ließ in ihm das Gefühl zurück, daß dies der
Mittelpunkt der Welt war.
    Also war es sinnvoll, daß sich die Menschenmenge hier versammelte, um
das neue Jahr zu begrüßen, um den Ball fallen zu sehen, und fröhlich zu rufen
und zu küssen und zu glauben, daß das einzige Jahr, das besser als 1958 sein würde, 1959 war. Und
danach i960.
    Dort unter den funkelnden Globen und flackernden Neonlichtern schien
jeder Traum eine kurz bevorstehende Realität zu sein, jeder frische,
strahlende Augenblick ein Neubeginn.
    Dies war der Times Square, New York City, lebendig mitten im Winter.
    Es war erst zehn Uhr, und der Times Square füllte sich schon jetzt mit
Menschen, die auf den großen Augenblick warteten. Es war eine gutgelaunte
Menge. Sie hatten sich in Wintermäntel gehüllt und sich ohne Zweifel noch mit
wärmenden Getränken gestärkt, und jetzt drängten sie sich fröhlich hinter den
Poliezeiabsperrungen um die beste Aussicht auf den riesigen Ball, der auf den
endgültigen Countdown wartete.
    Walter bewegte sich glücklich unter ihnen. Er war froh, der
widerwärtigen Atmosphäre des Waldorf entronnen zu sein, glücklich, wieder in
den warmen Lichtern des Times Square zu baden, glücklich, noch am Leben zu
sein, um dem ereignisreichen Jahr 1958 Lebewohl sagen zu können. Von den Zeitungsständen
kreischten die Schlagzeilen vom Chaos in Belgisch-Kongo und von Castros
unmittelbar bevorstehendem Sieg in Kuba und trompeteten etwas fröhlicher davon,
daß Amerika den Daviscup aus Australien heimgeholt habe. Was Walter an seinen
Vorsatz erinnerte, wieder mit dem Tennisspielen anzufangen. Und weniger zu
saufen.
    Aber nicht heute abend, nicht am Silvesterabend in New York. So zog er
seinen Flachmann aus der Manteltasche, nippte an dem Bourbon und genoß den Lärm
der Knallfrösche, das Hufgetrappel der Polizeipferde und das von vielen
vorzeitig betrunken gegrölte Auld Lang Syne.
    McGuire verspätete sich nur um wenige Minuten. Er kam in seiner
Handelsmarine-Kluft an — in blauer Matrosenjacke, Strickmütze, Jeans und mit
einem Seesack.
    »Wollen Sie einen Drink?« fragte Walter. Er brüllte, um sich im Lärm
der Menge Gehör zu verschaffen, und reichte McGuire den

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