Manhattan Blues
Himmel, Walter...«
»Er nimmt dich auf den Arm, Roger«, warf Elizabeth ein.
»Nein«, widersprach Walter. »Ich halte ihn wirklich für eine
wunderschöne Idee. Oder vielmehr ideal. Ich halte es für eine Tragödie, daß er
nicht praktikabel ist.«
»Nun, was ist?« fragte Roger, dessen Lippen irritiert zuckten. »Bist
du dafür oder dagegen?«
»Den Kommunismus?«
»Ja.«
Weil er wußte, daß es Roger ärgern würde, erwiderte Walter: »Sowohl
als auch. Ich halte ihn für ein schönes Ideal, das nicht funktionieren wird,
weil es mit der menschlichen Natur bedauerlicherweise total unvereinbar ist.«
Roger setzte sich in Positur und nahm den Ausdruck eines Schulrektors
an, der einen aufsässigen Schuljungen herunterputzt, und fragte: »Gegen genau
welche Aspekte der menschlichen Natur hast du etwas einzuwenden?«
»Die Selbstsucht.«
»Die Selbstsucht?« wiederholte Roger.
»Ja«, erklärte Walter. »Die einfache Habgier. Das Fehlen christlicher
Nächstenliebe.«
»Kommunisten sind Atheisten, Walter«, erklärte Roger geduldig und mit
einem Seitenblick amüsierter Herablassung zu seiner braven Ehefrau.
»Trotzdem«, erwiderte Walter, »wenn Jesus heute wieder auf die Erde
käme, bestünde für mich nicht der geringste Zweifel, daß er dann mindestens
Sozialist, wenn nicht gar begeisterter Trotzkist wäre.«
»Walter!« sagte seine Mutter entsetzt, obwohl er ihr ansah, daß sie
sich königlich amüsierte.
Elizabeth bemerkte spitz: »Dein Sohn verbringt ein paar Abende in
Greenwich Village, und schon fängt er an zu agitieren wie eine Dorothy Day.«
»Walter könnte nie Katholik sein«, sagte Mrs. Withers. »Von billigem
Wein bekommt er Kopfschmerzen.«
»Was nicht in Ordnung mit Dorothy Day?« fragte Walter.
»Sie ist katholisch und Kommunistin«, erwiderte Elizabeth.
»Aber Kommunisten sind doch Atheisten«, erinnerte Walter sie sanft.
»Das hat Roger gesagt.«
»Ich habe es gesagt, und sie sind es«, beharrte Roger.
»Hast du dir schon eine bombensichere Unterkunft gegraben?« fragte
Walter.
Seine Mutter warf ihm einen strengen Blick zu.
»Wir werden einen Bombenkeller einbauen«, sagte Roger ernst. Als er
Walters amüsiertes Lächeln sah, sagte er: »Das tun wir wirklich! Und das ist
sehr klug, Walter! Du solltest dir auch so ein Ding bauen lassen.«
»Ich wohne in einem Mietshaus«, gab Walter zurück. »Aber ich bin
überzeugt, daß du mich in deinen Keller einladen wirst.«
»Da wäre ich nicht so sicher«, knurrte Roger.
Während die Kenners später ihre zweifelhafte Beute in den Kombi luden
und Walter seine Mutter kurz unter vier Augen sprechen konnte, fragte er sie:
»Bist du enttäuscht von mir?«
Sie machte ein verblüfftes Gesicht und erwiderte: »Ganz und gar nicht.
Natürlich nicht.«
»Von meinem Beruf, meine ich«, erklärte Walter. »Bist du enttäuscht,
daß ich nicht in Vaters Firma eingetreten bin?«
Sie legte eine mütterliche Hand auf seine und sagte: »Walter, dein
Vater wußte, daß er ein sehr starker und sehr erfolgreicher Mann war, und das
machte ihm Sorgen. Nicht um seiner selbst willen, sondern wegen seiner Kinder.
Er war besorgt, ihr könntet davor Angst haben, nicht neben ihm bestehen zu
können. Dein Vater war dein Vater und sehr stolz auf dich. Das bin ich auch.
Stimmt was nicht?«
»Alles in Ordnung.«
»Du ärgerst dich doch nicht über diesen törichten Roger, oder etwa
doch?« sagte sie lachend. »Ein wenig schon«, gab er zu.
»Er weiß nicht, daß hinter seinem Tellerrand noch eine ganze Welt
liegt«, erwiderte sie. »Du solltest ihn aber nicht so mit deinen Bemerkungen
quälen.«
»Ich weiß, aber ich kann einfach nicht widerstehen«, erwiderte
Walter. »Warum kommst du nicht bald mal in die Stadt? Wir essen bei Sardi's,
und dann ins Theater? Ich werde uns Karten für Sunrise at
Campobello besorgen.«
»Ein Stück über Roosevelt?!« Sie wich in gespieltem Entsetzen zurück.
»Dein Vater würde sich im Grabe umdrehen.«
»Dann eben Flower Drum Song.«
»Hört sich wundervoll an, beides.«
»Abgemacht?«
»Nach den Feiertagen.«
Er gab ihr einen Kuß und umarmte sie, verabschiedete sich von
Schwester, Schwager, Nichten und Neffe, stieg in seinen Wagen und fuhr zurück
zur Arbeit.
Das Haus der Howards war neu, gehörte zu jener jüngsten Generation von
Vorortvillen, die mehr sein wollten als Massenbauten. Das Haus war einstöckig,
lang und niedrig, hatte große Aussichtsfenster, eine Parkbucht und eine Garage
für zwei Wagen. Das Haus
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