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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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er. »Mit Ihrer törichten Wette?“
    »Sie war gar nicht so töricht.“
    »Aber es ist Ihr Geld.«
    »Ich könnte mich an Geld nicht erfreuen, das von einer Niederlage der
Giants stammt«, sagte er.
    Sie drückte ihm die Hand und hauchte: »Vielen Dank.«
    Sie fuhren schweigend weiter, bis sie hinzufügte: »Übrigens hat Anne
es mir erzählt.«
    »Pardon?«
    »Anne hat mir gesagt, daß Sie beide ein Paar sind«, sagte sie. »Nach
hartnäckigem Befragen meinerseits, natürlich.«
    Einen Augenblick lang hatte Walter das Gefühl, als würde ihm das Herz
zerspringen wie ein Eisblock. Er versuchte, seine Stimme gleichgültig klingen
zu lassen, als er fragte: »Wann haben Sie mit Anne gesprochen?«
    »Gestern morgen«, erwiderte sie. »Vor all diesem Horror.«
    »Tatsächlich?« fragte er leichthin. »Wo?«
    »Sie lief mir in der Halle des Plaza zufällig über den Weg.«
    »Im Plaza?«
    »Ich ging gerade hinein, und sie wollte gerade hinaus, und da haben
wir uns ein bißchen unterhalten.«
    Da du natürlich kein Leben in endloser Doppelzüngigkeit und Mißtrauen
führst, ist es dir natürlich keine Sekunde eingefallen zu fragen, was sie dort
zu suchen hatte. Doch ich führe ein solches Leben, und ich möchte wissen, was
Anne an dem Morgen, an dem Marta starb, im Plaza zu suchen hatte.
     
    Walter entschied sich für eine dunkle Stelle an der Westseite der Ecke
Broadway und 116. Straße,
von wo er Alicias Wohnung im Auge behalten konnte. Die meisten Menschen, überlegte
er, suchen nach den Lichtstrahlen in der Dunkelheit, aber wir suchen nach den
dunklen Flecken in einer Stadt voller Licht. Und es verblüfft uns, wieviel
Dunkelheit wir tatsächlich in dieser Neon-Stadt finden können.
    Vor allem Uptown, in der Nähe des »Dschungels«, wie Dietz (nicht Upton
Sinclair) es nennen würde. Hier bildeten die Columbia University, das Barnard
Collidge und das Jewish Theological Center einen Gelehrten-Archipel, der sich
bemühte, in einem immer turbulenteren Ozean der Armut und des Verbrechens nicht
unterzugehen. (Es ist durchaus erlaubt, dachte er, besonders bei persönlichen
Überlegungen, Metaphern durcheinanderzubringen, wenn man sich von der Kälte
abzulenken versucht, während man mucksmäuschenstill dastehen muß. Vielleicht
war es in erster Linie ein Dschungel und dann erst ein Ozean. Vielleicht eine
Dschungel-Insel.) Hier waren die Lichter nicht so hell, hier streiften eine
Reihe von seltsamen Typen unauffällig durch die nächtlichen Straßen — der
nachdenkliche Wissenschaftler, der liebeskranke Student, der unruhige Junkie,
der künftige Straßenräuber, der Schlaflose, der Irre, der sehnsüchtige
künftige Ex-Spion, der den Kopf voller Wunschdenken hatte.
    Er betete - obwohl er die Hände nicht zum Gebet gefaltet hatte,
sondern geballt in den Manteltaschen hielt —, sein Zielobjekt nicht schon
verpaßt zu haben. Er betete nicht um die Vergebung der Sünden, sondern um ihre
mögliche Wiedergutmachung.
    Wer immer hinter dieser Sache steckte, würde schnell vorgehen. Sie
würden jetzt nervös sein und sich bemühen, die Operation glimpflich zu beenden,
die vermutlich zu früh geendet hatte, die sich aber immer noch als erfolgreich
erweisen konnte - sogar sehr erfolgreich. Doch das würde Zeit erfordern, und
darauf baute Walter jetzt, jene kleine logistische Verzögerung, die es ihm
ermöglichen würde, rechtzeitig da zu sein. Und tatsächlich kam jetzt Alicia die
Treppe herunter - schon mal ein erhörtes Gebet — und ging auf dem Bürgersteig
weiter. Und falls Walter je den Turkey Trot gesehen hatte, dann jetzt. Das
arme Mädchen war aufgeregt, verängstigt, befand sich in Gefahr, und für Walter
sah das Ganze aus wie Gottes Gnade in Vollendung.
    In wenigen Momenten werde ich wissen, sagte er sich, auf welcher Ebene
die Operation sich abspielt. Wenn sie allein geht, dachte er, ist die Sache
nicht allzu hoch angesiedelt, dann habe ich noch eine Chance. Wenn jetzt
Begleiter auftauchen und ihren Bewegungen folgen und sie wie Schutzengel
sicher und warm halten, dann haben wir etwas vollkommen anderes vor uns.
    Doch sollten Schutzengel da sein, waren sie sehr, sehr gut, denn
obwohl die Überwachung auf der Straße in seiner Ausbildung nicht seine stärkste
Seite gewesen war (Himmel, was war schon
seine starke Seite gewesen?), war er immer noch der Meinung, sie entdecken zu
können, falls sie da waren. Sonst hätten sie ihn entdeckt, und dann läge er
schon längst tot in irgendeiner Gasse, zweifellos in einer dunklen

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