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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Befreiungsschlag brachte Baltimore in Ballbesitz auf
der eigenen Vierzehn-Yards-Linie, und es waren nur noch eine Minute und
sechsundfünfzig Sekunden zu spielen. Walter wußte plötzlich, daß die New
Yorker das Spiel praktisch schon aufgegeben hatten, während Baltimore neuen
Mut faßte. Er sah deutlich, daß die Abwehr keine Reserven mehr hatte.
    Es gibt nun mal solche Momente, dachte Walter. Es gibt, wie
Shakespeares Cassius beobachtet hat, eine Wende im Schicksal der Menschen, wenn
sie sich in tiefster Not zur Tat aufraffen, um alles zum Guten zu wenden. Und
wenn das wahr ist, gilt auch das Umgekehrte: Wenn man die Gunst der Stunde
nicht nutzt, wendet sich das Blatt zum Schlimmeren, und das Glück ist dahin,
und so sah es jetzt für seine geliebten Giants aus, die jetzt nur noch Pech
hatten.
    Noch neunzig Sekunden Spielzeit, und der Ball lag auf der
Fünfundzwanzig-Yards-Linie.
    Ein wütender Sturmangriff, niemand anspielbar, doch der Ball ging ins
Aus. Noch zweiundachtzig Sekunden.
    Die Menge war jetzt still — der Ball befand sich wieder im Bereich der
Abwehr, und die Uhr tickte so langsam, wie sich ein Gletscher von der Stelle
bewegt. Die Zeit schien einfach stehenzubleiben.
    Ein von der Sturmreihe gefangener Paß, der den Angriff fünfundzwanzig
Yards nach vorn bringt. Dann liegt der Ball auf der Fünfzig-Yards-Linie.
    Eine erschöpfte Reihe kämpft gegen die andere, die genauso erschöpft
ist. Unitas wirft den Ball schnurgerade über sechzehn Yards. Der Ball liegt auf
der Vierunddreißig-Yards-Linie der Giants.
    Kurze Atempause, als Unitas sein Team zu einem Huddle auffordert, zu
einer kurzen Besprechung zwischen den Spielzügen.
    Ball auf der Vierzehn-Yards-Linie der Giants. Noch fünfzehn Sekunden
zu spielen. Die Uhr tickte, und es waren nur noch sieben Sekunden zu spielen,
als Walter zusah und Keneally durch gespreizte Finger aufs Spielfeld starrte
und die Zuschauer wie ein Mann den Atem anhielten und Marchetti sich auf seiner
Tragbahre aufrichtete und Grier und Katcavage Donovan in die Zange nahmen, Huff
über das Knäuel hinwegsprang und Myhra den Ball voll traf und man den dumpfen
Aufprall hörte und sah, wie der Ball durch den dunklen Himmel segelte und
zwischen den Pfosten landete und das Spiel unentschieden stand.
    »Sudden deatb«, sagte Walter leise, denn in diesem
Augenblick konnte er nur leise sprechen und trotzdem gehört werden, denn die
Zuschauer waren stumm.
    »Ich bin schon tot«, erwiderte Keneally.
    Die Giants gewannen die Seitenwahl. Die Begeisterung der Menge wurde
durch das seltsame Ritual bei diesem ersten Sudden-Death-Spiel aller Zeiten
gedämpft. Als es losging, fragte Keneally: »Haben eure Jungs es in sich?«
    Nein, haben sie nicht, dachte Walter.
    Doch die Abwehr der Giants hielt. Das war jedoch nur eine Atempause.
Beim nächsten Spiel gab die Offensive Line der Colts Unitas ewig viel Zeit. Er
überlistete Moore, rannte um einen angreifenden Modzelewski herum, entdeckte
Berry, täuschte ihn dazu, weiterzulaufen, und ließ ihn dann der Länge nach
hinschlagen. Mit den Verteidigern der Giants auf den Fersen traf Unitas Berry
erneut auf der Neuner-Linie der New Yorker.
    »Jetzt werden sie das Field Goal treten, und ich habe gewonnen!«
brüllte Keneally.
    Wenn Baltimore mit drei Punkten vorn liegt, dachte Walter, ist deine
Wette gesichert. Doch es wird kein weiteres Field Goal Baltimores geben.
    Myhra blieb an der Seitenlinie stehen, und Unitas trat an die Linie.
Er reichte den Ball an Ameche, der sich in der Mitte durchpflügte und von Huff und
Katcavage gestoppt wurde. Ball weiter zur Siebener-Linie, und die Zuschauer
erwarteten schon halb, daß jetzt das Field Goal getreten wurde. Doch dann war
Unitas wieder zur Stelle. Die Abwehr der Giants warf sich ihm entgegen, um den
erwarteten Lauf durch die Mitte zu stoppen, worauf Unitas zu Joe Mutscheller
paßte. Mutscheller strebte der Goal Line zu, rutschte jedoch auf dem Eis aus
und stürzte auf der Ein-Yards-Linie.
    »Ich kann nicht glauben, daß er den Ball verloren hat!« klagte
Keneally.
    Ich kann es aber, dachte Walter. Ich kann es absolut. Sie haben schon
vorhin kein Field Goal gemacht, und wenn sie es jetzt machen, gewinnen sie mit
drei Punkten. Aber drei Punkte verlieren, wenn man eine Tonne Geld auf einen
Fünf-Punkte-Unterschied gesetzt hat. Und wenn man der Eigentümer der
Mannschaft ist und das getan hat, kann man ruhig daneben sitzen und den
Spielern Zeichen geben.
    Drittes Down auf der Einer-Linie, ein fast sicheres

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