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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Ecke mit
einer Messerklinge im Herzen, und außerdem hätte man ihm Brieftasche und
Armbanduhr abgenommen. Mit diesem aufmunternden Gedanken im Kopf schätzte er
seine Entfernung zu Alicia ab und achtete darauf, daß sie konstant blieb. Wenn
es geschah, würde es in nicht allzu großer Nähe zu ihrer Wohnung passieren.
Folglich konnte er es sich erlauben, eine Zeitlang etwas Raum zwischen sich und
ihr zu lassen, was eine gute Sache war, weil Alicia den Drehwurm hatte, und er
erinnerte sich aus der Zeit seiner Ausbildung, daß es das einzige war, was
schlimmer war als der Titanic-Fimmel.
    Wenn ein Agent heiße Ware bei sich trägt, hatte der Ausbilder gesagt,
kann er oder sie zwei extreme Kopfhaltungen zeigen — ein wunderschöner
Ausdruck, hatte Walter damals gedacht, »extreme Kopfhaltungen«, ein
potentieller Buchtitel für einen pfeiferauchenden Soziologen. Die eine ist der
Titanic-Fimmel: Der Agent geht in aufrechter Haltung direkt auf seinen
Bestimmungsort zu und bewegt sich erst dann, wenn er mit dem Eisberg
zusammenkracht. Die zweite ist der Drehwurm, was bedeutet, daß der Agent sich
ständig umdreht. Der Titanic-Agent will partout keine Gefahren sehen, eine
Person mit dem Drehwurm sieht aber nichts als Gefahren.
    Und Alicia drehte sich dauernd um. Armes tapferes Mädchen, versuchte,
diesen Tick zu beherrschen, doch für Amateure und Dilettanten ist das noch nie
das richtige gewesen, egal, wie sehr sie sich einer Sache verpflichtet fühlen,
aber dafür bittet man sie natürlich auch nicht, gleich beim ersten Versuch am
tiefen Ende ins Schwimmbecken zu springen. Nein, zunächst wurde nur vorsichtig
der große Zeh eingetaucht — hier ein Botengang, da ein kleiner Gefallen, bevor
der arme Agent merkte, daß er schon bis zum Hals drinsteckte. Erst heißt es:
»Jemand kommt zu Ihnen in die Wohnung und gibt etwas ab, was später ein
anderer abholt. Sie brauchen nicht mal zu wissen, worum es sich handelt.« Und
dann, an einem Abend, der einem Angst einjagt, heißt es dann: »Hören Sie, Sie
haben wirklich keine andere Wahl. Nehmen Sie einfach das Päckchen, geben Sie es
dort ab, wo Sie es abgeben sollen, und vergessen Sie das Ganze.« Der Agent sagt
nein, worauf er zu hören bekommt: »Na schön, es ist natürlich Ihre
Entscheidung. Aber Sie wollen doch sicher nicht, daß man das Zeug bei Ihnen in
der Wohnung findet? Das wollen Sie doch wirklich nicht. Ich meine, wir können
dann doch bestenfalls von Gefängnis reden, und das ist nur die beste Möglichkeit.
Einfach aus dem Fenster werfen? Nach allem, was wir für Sie getan haben? Das
können Sie doch nicht tun, Darling, denn dann hätte ich keine andere Wahl, als
ein paar Anrufe zu machen, und dann würden sie ohnehin kommen, um Sie zu holen,
und dann wäre das Gefängnis immer noch das Beste, worüber
wir reden könnten. Nein, wirklich, Sie sollen wirklich nichts anderes tun, als
das Zeug dort abzugeben...«
    Walter wußte, wie es funktionierte, nachdem er es selbst schon so oft
gemacht hatte. Er hatte gesehen, wie die Furcht und die hilflose Abneigung über
das Gesicht des Agenten zogen wie eine Wolke über den klaren blauen
schwedischen Himmel, und dann sagte der Agent: »Na schön. Nur dieses eine Mal«,
worauf man sagt: »Gut, nur dieses eine Mal.« Bis zum nächsten Mal. Und dem
nächsten und nächsten, bis der Agent schließlich alles versaut und geschnappt
wird, und dann ist es doch nicht so, als hätten wir einen richtigen Agenten
verloren, nicht wahr?
    Der eine tut es für Geld, der andere für die Sache, der nächste läßt
sich einfach erpressen. Walter hatte das Gefühl, daß Alicia eine Gläubige war,
eine Romantikerin, die die Sache liebte und etwas Romantisches dafür tun
wollte. Doch wie romantisch war ihr jetzt zumute, als sie die 106. Straße in
westlicher Richtung überquerte und wie ein Greyhound dem Riverside Park
zustrebte?
    Walter paßte seine Schritte ihrem Tempo an und entdeckte zu seinem
Entsetzen — etwas mehr Zeit auf dem Tennisplatz, etwas weniger Zeit in den
Nachtclubs, mein Junge -, daß er sich anstrengen mußte, um mit ihr Schritt zu
halten. Sie bewegte sich schon in heimatlichen Gefilden, und bis jetzt war
alles gutgegangen, so daß sie nun losrannte, um es hinter sich zu bringen.
    Weil sie sie vermutlich eine Probe hatten machen lassen — um sie für
die echte Übergabe in Sicherheit zu wiegen, wenn aus keinem anderen Grund.
(»Hören Sie zu, ich will Ihnen mal was sagen. Wenn Sie wegen dieser Sache
nervös sind - und wer

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