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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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an den Stuhl gefesselte Leiche, belagert von Maden und Schaben. Stumpy war kein tapferer Mann. Massiv bedroht, wäre er auch mit einem Vierling auf der Hand ausgestiegen. Aber als professioneller Spieler war er gerissen und konnte die Lage mit einem Blick erfassen. Wer immer ihn gefoltert hatte, wollte ihn ohnehin töten, das wusste Stumpy. Er stand es so lange durch, weil das, was sie wollten, das Einzige war, das ihn am Leben hielt.
    Und es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Männer, die Stumpy gequält hatten, suchten das Geld, oder sie wussten, wo es war, und wollten lose Enden kappen. Meines Wissens gab es nur zwei weitere solcher losen Enden: Gertie Longman, seit nunmehr sechs Jahren tot, und mich.
    Diese Erkenntnis erschreckte mich nicht. Ich machte mir keine Sorgen, als Festmahl für Insekten in einer Wäschekammer zu enden. Die Einsicht, dass ich Mördern ein Anlass zur Sorge war, ließ mich nur fragen, warum – nicht, warum sie hinter mir her waren, sondern wie ich mich in eine derartige Lage hatte bringen können.
    Warum hatte ich einer Frau, die sowieso in den Knastwandern würde, falsche Beweise untergeschoben? Einer Frau, die sich Sorgen über ihren treulosen Geliebten und das Kind in ihrem Bauch machte? Ich versuchte, mich an den Geisteszustand zu erinnern, der mich diese Taten hatte begehen lassen. Ich kannte den Mann, der so gehandelt hatte, verfügte über all seine Erinnerungen. Ich konnte jede einzelne seiner Sünden aufzählen. Aber sosehr ich mich auch bemühte, ich schaffte es nicht, das Gefühl heraufzubeschwören, das mich zu diesen Taten getrieben hatte.
    Natürlich waren Männer hinter mir her. Natürlich wollten sie mich vernichten. Natürlich wollten sie das.

31
    Ich öffnete die Augen und begriff, dass ich in eine Art existenziellen Schlummer gefallen war, ein intellektuelles Nickerchen. Statt als wahrhaft erholsame Bewusstlosigkeit ließ sich mein Zustand wohl eher als philosophische Einsiedelei bezeichnen. Mein Geist hatte Ausreden und Rechtfertigungen angefochten und so dafür gesorgt, dass die Wahrheit über meine fehlerhafte Existenz an die Oberfläche gekommen war. Ich fühlte mich vollkommen ausgeruht und frei.
    Leute wollten mich töten. Dafür hatten sie triftige Gründe, selbst wenn sie sich dieser Gründe vielleicht gar nicht bewusst waren. Ich wollte überleben, denn wenn diese Schattenmänner ihr Ziel erreichten, konnte ich meine Sünden nicht wieder gutmachen.
    Während ich die Straße entlang nach Süden ins Village wanderte, dachte ich über Zella nach. Sie war das Lehrbuchbeispiel einer Frau, die wirklich übles Pech gehabt hatte. Sowohl bei ihrem Geliebten als auch bei der Frau, die sie für ihre Freundin hielt, hatte sie eine schlechte Wahl getroffen. Eine geladene Waffe in Griffweite zu haben, war auch keine gute Idee gewesen, doch das Schlimmste an Zellas Leben lag komplett außerhalb ihrer Kontrolle – ich. Ich bedeutete Unglück, reines unverdünntes Elend – für Katrina, Aura, Zella Grisham und einhundertsieben andere arme Seelen, die durch meine Machenschaften wie aus heiterem Himmel getroffen worden waren. Ich war der bösere große Bruder von Typhus-Mary, der Zorn Mose über den ahnungslosen Bauern des Niltals. Ich schob Leuten gefälschte Beweise unter, hetzte Hunde auf nichtsahnende Bürger, einfach nur, weil ich sie nicht mochte und dafür bezahlt wurde, jemandem etwas anzuhängen, irgendjemandem, der dafür zufällig in Frage kam. Ich war eine boshafte kleine Gottheit, die zur Unterhaltung der großen Götter auf die naive Menschheit losgelassen worden war.
    In den alten Hippie-Zeiten hätte man Zella und mich als karmische Geschwister bezeichnet, die ihre Untaten aus vorherigen Leben abbüßten. Aber 2011 bestand die metaphysische Welt genau wie das physische Universum fast ausschließlich aus Wirtschaftsplänen, Gebeten und Plagen.
    Ich war derart abgelenkt von diesen nutzlosen esoterischen Reflexionen, dass ich unversehens vor der White Horse Tavern stand. Es war schon nach eins, Tische und Tresen waren gut besetzt – Stammkunden, Touristen und der eine oder andere Zufallsgast. An einem Tisch am Fenster in der Ecke des vorderen Raums bildeten neun Personen das Publikum des Vortrags, den ein junger Mann in schwarzen Jeans, einer dunkelgrünen Sportjacke und einem T-Shirt mit dem Aufdruck GINSBERG FOR RAJAH hielt.
    »… für viele anerkannte und hoch gelobte Vertreter der New Yorker Dichterszene ist der Reiz von Dylan Thomas verblasst«,

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