Manhattan
Geständnis nicht unterbrechen darf.
»Ich bin hingegangen, um sie zur Rede zu stellen«, sagte sie. Ihr Tonfall war so weich wie das Sonnenlicht, das durch die Leinenvorhänge ins Zimmer sickerte. »Ich habe keine Ahnung, warum – der Himmel weiß, dass es vorher schon andere Frauen gegeben hatte –, aber sie schien mir gefährlicher zu sein, bedrohlicher, eher eine Geliebte als eine kurze Affäre, und während ich das Gefühl hatte, eine Affäre tolerieren zu können … Vielleicht war es die Gefahr einer öffentlichen Demütigung, die ich nicht ertragen konnte.
Als ich vor ihrem Zimmer stand, erwartete ich schon halb, Sie dort vorzufinden, und darauf war ich auch eifersüchtig.
Immerhin hatte sie Sie auf der Tanzfläche praktisch vergewaltigt. Doch sie war allein und so betrunken, dass sie eine Ewigkeit brauchte, um an die Tür zu kommen.
Dieser Körper, Walter. Ich glaube schon, auf herkömliche Weise einigermaßen hübsch zu sein, doch als ich neben Marta stand, fühlte ich mich wie ein unbeholfenes Mädchen. Sie in diesem Morgenmantel. Mein Gott, Walter, ich konnte ihn an ihr riechen.
Ich wusste nur, dass ich es im Schlafzimmer nie mit ihr würde aufnehmen können. Ich wusste, dass Joe sie immer würde haben wollen. Jeder Mann würde sie haben wollen. Ich kam mir so wahnsinnig korrekt vor und züchtig und lächerlich, wie ich in meinem kleinen Sonntagskostüm dastand, mit Hut und Handschuhen, und sie war praktisch nackt und so … so verführerisch.«
In Hut und Handschuhen, dachte Walter.
»Ich habe ihr schreckliche Dinge gesagt, Walter«, flüsterte Madeleine und gab beherrschte kleine Schluchzer von sich. »Schauerliche, scheußliche Dinge. Ich nannte sie eine Hure und eine ordinäre Herumtreiberin und sagte, sie sei für Joe nichts weiter als eine öffentliche Bedürfnisanstalt, und es gebe noch Dutzende andere. Ich habe meine Position als Ehefrau genutzt, Walter, der man ein Unrecht angetan hat, meine Position als anständige junge Dame. Das habe ich gesagt, Walter. Ich sagte, er werde nie eine Hure wie sie heiraten, und fragte sie, warum sie ihn nicht einfach ziehen lasse. Worauf sie sagte: ›Das habe ich.‹ Das war alles. ›Das habe ich‹, und dann krabbelte sie wieder aufs Bett, rollte sich zusammen und starrte die Wand an.«
Madeleine verstummte, und Walter saß reglos da wie ein Standbild.
»Ich habe die Flasche gesehen«, flüsterte Madeleine mit ton
loser und toter Stimme. Gehetzt. »Und die Pillen. Ich wusste, was passieren würde.«
Walter lauschte in der schweren Stille dem Ticken einer antiken Uhr. Sie schien ewig weiterzuticken.
Schließlich sagte Madeleine: »Ich stand einfach nur da. Ich hätte einen Arzt holen können. Ich hätte den Empfang anrufen können. Ich stand nur da und dachte: ›Sie wird sterben. Sie wird eine Überdosis nehmen und sterben.‹ Und nach ein paar Minuten bin ich gegangen. Ich habe sie so liegen lassen.«
»Madeleine …«
Sie sah ihm jetzt in die Augen. Ihre Augen waren gerötet und voller Tränen.
»Ich fühle mich erleichtert, Walter«, sagte sie. »Gott möge mir vergeben, aber ich fühle mich erleichtert.«
Dann begann sie laut zu weinen. Mit heftigen stummen Schluchzern und schwer atmend, während sie die Arme um sich schlang.
Walter ließ sie weinen, und als sie fertig war, kniete er neben ihr hin. Er reichte ihr ein Papiertaschentuch, und während sie sich damit die Augen abtupfte, sagte er: »Sie hatten nichts mit Martas Tod zu tun. Nichts.«
Sie sah ihn neugierig an und fragte: »Wie …«
Er legte einen Finger an die Lippen und sagte: »Ich wollte nur, dass Sie das wissen.«
Er stand auf, küsste sie auf den Scheitel und ging.
Nein, dachte Walter, als er die Frau auf dem zerwühlten Bett musterte, Madeleine Keneally hatte nicht schrecklich ausgesehen – Mary Dietz sah schrecklich aus. Ihre Haut, die noch vor wenigen Tagen durchsichtig war, wirkte jetzt gelb, nur dort nicht, wo sie über den scharfen Umrissen ihrer Wangen
knochen grau abhob. Ihre Lippen waren eng an die Zähne gepresst, und als er ihr den Speichel vom Mund wischte, konnte er den Gestank der Krankheit riechen, der in dem nach saurem Schweiß riechenden Raum hing wie beißender Rauch.
»Nicht mehr als eine Stunde«, sagte Sarah von der Schlafzimmertür aus. Sie zog sich gerade den Mantel an.
»Eine Stunde ist in Ordnung«, sagte Walter.
»Bei dir alles in Ordnung, Walter?«
»O ja. Bestens.«
Obwohl er genauso gut wusste wie sie, dass es in diesem
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